Agranulozytose

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Die Agranulozytose bezeichnet eine starke Verminderung der Granulozyten, einer Unterart der weißen Blutkörperchen, auf unter 500 Zellen pro Mikroliter Blut. Sie kann als Nebenwirkung verschiedener Medikamente auftreten, als Ausdruck schwerer Tumorerkrankungen im Knochenmark, einer aplastischen Anämie oder als Begleitphänomen einer Chemotherapie.

Inhaltsverzeichnis

Was ist eine Agranulozytose?

Granulozyten sind wichtig für die Immunabwehr. Ein Mangel führt daher häufig zu Infektionen wie Lippenherpes, Aphten und Scheidenpilz.

Medikamente völlig verschiedener Wirkklassen können manchmal dieselbe typische Nebenwirkung zeigen. Im Falle der Agranulozytose kann es bei Einnahme des Schmerzmittels Novalgin, des Neuroleptikums Clozapin oder des beliebten Antibiotikums Cotrimoxazol zu einer Bildungsstörung der weißen Blutkörperchen kommen, was das Immunsystem des Körpers im schlimmsten Falle vorübergehend außer Gefecht setzen kann. Doch auch bei schweren Krebserkrankungen kann es zur Agranulozytose kommen.

Das Wort "A-Granulozytose" bedeutet eigentlich "keine Granulozyten", doch bereits ein Abfall auf unter 500 pro Mikroliter im Blut reicht aus, um die Agranulozytose zu definieren. Granulozyten sind eine Unterabteilung der Leukozyten, also weißen Blutkörperchen, und decken dort vor allem den Arbeitsbereich "Abwehr gegen bakterielle Erreger, Pilze und Parasiten" ab. Sie sind überall auf Schleimhäuten, in Geweben und im Blut vertreten, wo der Körper sich laufend mit neuen und alt bekannten Krankheitserregern auseinandersetzen muss, damit wir nicht krank werden.

Gebildet werden diese Granulozyten, wie die meisten Blutzellen, im Knochenmark, was einige Tage benötigt. Aufgrund des ständigen Verbrauchs an Abwehrzellen werden laufend neue Granulozyten aus dem Knochenmark nachgeliefert.

Ursachen

Um die genaue Pathogenese der Agranulozytose verstehen, muss man sie in zwei Formen unterteilen: Die erste Form ist eine Immunreaktion gegen bereits zirkulierende Granulozyten, welche kurzfristig zerstört werden; die zweite Form wird durch eine toxische Schädigung des Knochenmarks ausgelöst und tritt etwas langsamer und gemächlicher in Erscheinung, da ja zunächst noch funktionelle Abwehrzellen im Körper unterwegs sind.

Es handelt sich somit bei der ersten Form um eine Art allergische Reaktion des Körpers auf Medikamente - Metamizol oder Clozapin machen auf diese Weise eine Nebenwirkung bei Menschen, die zu derartigen Allergien neigen.

Bei der zweiten Form richtet das Medikament direkt einen Schaden an bzw. liegen andere Ursachen für die Schädigung des Knochenmarks vor - das Thyreostatikum Thiamazol hemmt auf solche Weise ein wichtiges Enzym der Blutbildung weißer Blutkörperchen und verhindert die weitere Ausreifung der Granulozyten mit der Folge des Nachlieferungsstopps aus dem Knochenmark.

Auch Cotrimoxazol kann eine direkte toxische Wirkung auf das Knochenmark haben, welche seiner Hauptwirkung entspricht. Hiervon kann jeder Mensch ab einer bestimmten Dosis betroffen sein, egal, ob er zu Allergien neigt oder nicht. Auch Leukämien können sich im Knochenmark ausbreiten und die normale Blutbildung verdrängen, sodass auf diese Art eine Agranulozytose ausgelöst werden kann. Da bei einer Chemotherapie wahllos schnell teilende Zellen angegriffen und zerstört werden, ist auch hier das Knochenmark und die Bildung roter und weißer Blutkörperchen einer der ersten Leidtragenden.

Symptome und Verlauf

Mögliche Anzeichen einer Agranulozytose:

Das Problem bei der Agranulozytose ist, dass sie die Abwehr kurzfristig außer Gefecht setzt. Dementsprechend neigt man zu Infekten, vor allem der Schleimhäute. Die Erkrankung beginnt meist akut (im Falle der ersten Form) oder innerhalb weniger Tage (zweite Form) mit gestörtem Allgemeinbefinden und Fieber. Die Schleimhautinfekte zeigen sich meist in Form eines bläschenhaften Virenbefalls der Mundschleimhaut (Stomatitis aphthosa, vor allem Herpesviren) oder einer Mandelentzündung (Angina tonsillaris) mit Vergrößerung und Rötung der Rachenmandel, oft mit weißlichen Belägen.

Auch Schleimhautgeschwüre im gesamten Magen-Darm-Trakt oder Nekrosen der äußeren Haut können sich bilden. Pilzbefall der Schleimhäute zeigt sich als bröckelig-weißlicher Belag. Auch Lungenentzündungen, Durchfallerkrankungen und andere Infektionen am gesamten Körper treten leichter auf, da die Erreger nicht mehr von den Granulozyten des Abwehrsystems eingedämmt werden.

Diagnose

Die Diagnostik der Agranulozytose ist denkbar einfach: die Granulozyten können direkt im Blut gemessen werden (Differential-Blutbild). Gemeinsam mit der Vorgeschichte einer verdächtigen Medikamenteneinnahme ist der Fall meist klar. Liegt der Verdacht auf eine Blutbildungsstörung anderer Ursache vor, kann eine Knochenmarksbiopsie entnommen werden, die geschieht meist aus dem Beckenkamm.

Komplikationen

Falls die Agranulozytose nicht richtig behandelt wird, kann es aufgrund von verschiedenen Infektionen zum Tode des Patienten kommen. In der Regel leidet der Patient an einem allgemeinen Krankheitsgefühl und fühlt sich schwach. Er ist nicht mehr in der Lage, bestimmte Aktivitäten durchzuführen und leidet nicht selten an Fieber. Dazu kommen starke Kopfschmerzen und eine allgemeine Abgeschlagenheit.

Ebenfalls kann eine Lungenentzündung auftreten, falls es zu einer Infektion der Atemwege kommt. Bei Infektionen des Magens treten Durchfall und Erbrechen auf. Die Lebensqualität des Patienten wird durch die Agranulozytose stark verringert.

Ebenfalls kann es zu einer Mandelentzündung kommen. Eine Diagnose ist nicht in jedem Fall schnell durchführbar, da sich die Agranulozytose auch erst nach einigen Wochen nach der Einnahme des Medikamentes zeigen kann. Weiterhin kann es zu einer toxischen Reaktion kommen, die lebensgefährlich ist und auf jeden Fall behandelt werden muss. Die Behandlung erfolgt mit Hilfe von Antibiotika und einer erhöhten Hygiene, damit es nicht zu weiteren Infekten oder Entzündungen kommt. Auch erfolgt die Absetzung des Medikamentes. Die weiteren Beschwerden werden symptomatisch behandelt, wobei es in den meisten Fällen zu keinen weiteren Komplikationen kommt. Nur bei einer unbehandelten Agranulozytose kann es zu lebensgefährlichen Situationen kommen, wenn schwerwiegende Beschwerden auftreten.

Behandlung und Therapie

Zur Therapie der Agranulozytose muss zunächst das auslösende Medikament abgesetzt werden, um weitere Schädigung zu verhindern. Danach erholt sich die Blutbildung innerhalb einiger Tage von selbst und die Zahl der Granulozyten nimmt in dem Maße zu, indem das Knochenmark wieder solche nachliefern kann. Um die Zeit zu überbrücken, ist eine Prophylaxe mit Antibiotika und Antimykotika, also Mitteln gegen Bakterien und Pilze, sinnvoll. Diese ersetzt dann praktisch für einige Tage das körpereigene Abwehrsystem. In schweren Fällen kann die Granulozyten-Nachbildung auch mit dem Wachstumsfaktor G-CSF (Granulozyten-Colony-Stimulating-Factor) beschleunigt werden.


Vorbeugung

Zur Prophylaxe der benannten Nebenwirkungen ist es zunächst wichtig, die Einnahme der verdächtigen Medikamente auf die wirklich nötigen Fälle zu beschränken und diese dann gut zu überwachen, um einen Abfall der Granulozytenkonzentration im Blut rechtzeitig zu bemerken.

Dies gilt vor allem für oft verabreichte Medikamente wie Metamizol (Novalgin-Schmerzmittel) oder das Neuroleptikum Clozapin. Weitere Medikamente sind Clomipramin, Sulfasalazin, Ticlopidin, die Thyreostatika Thiamazol und Carbimazol sowie das Antibiotikum Cotrimoxazol. Patienten, die zur allergischen Agranulozytose neigen, sollten diese Medikamente nicht bekommen.

Bei Bestehen einer Agranulozytose sollte sorgfältig auf die Mund-, Rachen- und Analhygiene geachtet werden, Menschenansammlungen aufgrund des Infektionsrisikos gemieden werden.

Quellen

  • Herold, G.: Innere Medizin, Gerd Herold, 1. Auflage, 2013
  • Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Bieber, C. et al.: Duale Reihe Innere Medizin, Georg Thieme Verlag, 3. Auflage, 2012
  • Böhm M, Hallek M, Schmiegel W (Hrsg): Innere Medizin, begr. von Classen M, Diehl V, Kochsiek K, 6. Auflage, München Elsevier Urban & Fischer Verlag 2009

Dieser Artikel wurde unter Maßgabe der aktuellen medizinischen Fachliteratur und fundierter wissenschaftlicher Quellen verfasst.
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