Affektlabilität
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 22. April 2024Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.
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Affekte sind die Gestimmtheit im Augenblick - jeder Mensch hat eine bestimmte Grundstimmung und eine emotionale Schwingungsfähigkeit innerhalt sich seine Gefühlslage bewegt. Wechselt diese Gestimmtheit binnen kurzer Zeit z. B. zwischen Wut und Freude, kann eine Affektlabilität vorliegen. Das Verhalten wird von der Umwelt dann als nicht angemessen betrachtet – etwa wenn während einer Beerdigung laut gelacht wird. Eine Affektlabilität ist keine Einzelerkrankung sondern Teil einer oder mehrerer psychischen Störungen.
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Was ist Affektlabilität?
Affekte (Einzelgefühle und Stimmungen im Augenblick wie Angst, Wut, Hass) sind ein Teil der Affektivität (Überbegriff für Stimmungen, Affekte und Gefühle = das gesamte Gefühlsleben). Diese gehört zu den psychischen Elementarfunktionen (das Pendant zu den körperlichen Organsystemen, wie Herz-Kreislaufsystem, Verdauungssystem usw.). Laut ICD (internationale Klassifikation von Krankheiten) ist die Affektlabilität mit F 38.0 (andere affektive Störungen) codiert. Mitunter wird Affektlabilität auch mit Affektinkontinenz umschrieben.
Bei Affektlabilität können Gefühlsäußerungen – unabhängig von äußeren Impulsen – sehr leicht, spontan und unkontrolliert ausgelöst werden. Art und Weise der Affektäußerung steht in keinem Verhältnis zum Gesprächs- oder Denkinhalt – dies wird vom Betroffenen selbst als widersprüchlich erkannt – etwa denkt er an etwas Angenehmes, muss dabei aber weinen. Die Affektsteuerung und –äußerung stehen unter einer ungenügenden Kontrolle. Die Affektivität eines Menschen wird auch zu seinen Charaktereigenschaften gezählt. Somit sind Affekte (einzelne Gefühlsregungen) ein wesentlicher Teil der menschlichen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Sie machen den Menschen zu dem was er ist, wie er sich sieht und wie er von anderen aufgrund seines Verhaltens behandelt wird.
Ursachen
Affektlabilität ist ein Symptom einer oder mehrerer psychischen Grunderkrankung(en). Den meisten liegt ein multifaktorielles Geschehen zugrunde. Diese sind genetische Faktoren – hier liegt eine (gehäufte) familiäre Belastung vor oder Störungen in der Biochemie des Gehirns – der Haushalt an Botenstoffen (Neurotransmittern, z. B. Serotonin, Noradrenalin, Dopamin) ist im Ungleichgewicht. Entweder sind zu viele oder zu wenige Botenstoffe vorhanden.
Die häufigsten Erkrankungen mit einhergehender Affektlabilität sind:
- 1. Reversible Erkrankungen wie zum Beispiel: Wochenbettdepression, Drogenkonsum und PMS (Prämenstruelles Syndrom) und
- 2. Dauerhafte Störungen wie zum Beispiel: Persönlichkeitsstörungen, erregbare und psycholabile Persönlichkeiten – z. B. Borderline oder hystrionische Persönlichkeitsstörung, Depressionen – hier häufig in Kombination mit Affektabflachung oder Affektstarre, Bipolare Erkrankungen – in mansichen Phasen meist Stimmungshochs, Zyklothymia, manisch-depressive Mischzustände, symptomatische Psychose, frühe Stadien der Schizophrenie, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung.
Oder organische Erkrankungen wie beginnende, cerebrale Schädigung (Hirnschädigung) und Symptome einer Demenz (z. B. Alzheimer-Demenz). Bei diesen körperlichen Grunderkrankungen mit psychischen Auswirkungen zeigen sich die Affekte häufig in erhöhter Reizbarkeit sowie Schwankungen zwischen euphorischen und depressiven Verstimmungen.
Achtung: Bei Kindern ist Affektlabilität normal und wird nicht als Störung angesehen. Die kindliche Affektkontrolle muss erst erlernt werden. Sie sind ganz spontan fröhlich und im nächsten Moment zutiefst betrübt. Erst ab der Adoleszenz (Jugendalter, nach der Pubertät) sollten die Affekte selbst willkürlich kontrolliert werden können. Falls nicht, können bereits früher Formen von Schizophrene (hebephrene Form) oder auch eine Persönlichkeitsstörung vorliegen – je früher einem Verdacht nachgegangen wird, umso besser die Therapie- und eventuell auch Heilungschancen.
Krankheiten
- Wochenbettdepression
Wann zum Arzt?
Bei einer Affektlabilität ist grundsätzlich ein Arzt zu konsultieren, sobald der Zustand für den Betroffenen oder seine Angehörigen zu einer Belastung wird. Tritt die Labilität als Symptom einer anderen Erkrankung wie einer Grippe oder einer Erkältung auf, verbessert sich der Zustand mit fortschreitendem Heilungsprozess. Ein weiterer Arztbesuch ist nicht notwendig.
Bei einer anfänglichen und leichten Affektlabilität sind motivierende Worte, Verständnis oder emotionale Unterstützung von Angehörigen hilfreich und ausreichend. Ein Arztbesuch wird notwendig, sobald über einen längeren Zeitraum und ohne eine weitere Erkrankung der Affekt vermindert ist. In einigen Fällen ist die Aufforderung zu einem Arztbesuch von Menschen aus dem sozialen Umfeld erforderlich. Der Betroffene missachtet häufig die Empfehlung, einen Arzt zu konsultieren und verkennt die Lage.
In vielen Fällen findet schleichend ein fortschreitender Prozess statt, so dass für den Betroffenen die Notwendigkeit eines Arztbesuches nicht erkennbar ist. Dies ist Teil des Krankheitsbildes einer Affektlabilität. In einem fortgeschrittenen Stadium ist es dem Betroffen nicht mehr aus eigener Kraft möglich, einen Arzt zu konsultieren. Daher ist rechtzeitiges Handeln nötig. Hält der Zustand über mehrere Wochen an, ist ein Arztbesuch notwendig. Dies gilt, wenn es keine aktuellen emotionalen oder körperlichen Belastungssituationen gibt oder wenn keine Medikamente eingenommen werden, die eine Affektlabilität auslösen können.
Diagnose und Verlauf
Die Affektivität wird im Rahmendes psychopatolischen Befunds erhoben. Stehen bei einem Menschen während eines Gespräches rasch wechselnde Stimmungen und Gefühle im Vordergrund, wird von einer Affektlabilität gesprochen. Beispielsweise ist ein Patient währende eines kurzen Zeitraums zu Tode betrübt und im nächsten Moment unnatürlich heiter. Störungen der Affektivität werden durch Beobachtung, Anamnese und Fremdanamnese (Befragung Angehöriger und Bezugspersonen) diagnostiziert.
Der Verlauf der Affektlabilität verläuft linear zum Krankheitsbild der psychischen Grunderkrankung. Ist dieser phasenhaft (etwa bei bipolaren Störungen) verhält sich auch der Ausbruch der Affekte so. In akuten Phasen der (psychotischen) Störung werden auch die Affekte „verrückt“ spielen, in ruhigen Zeiten sind auch die Affekte kontrollierter steuerbar.
Komplikationen
Zu den wichtigsten Komplikationen der Affektlabilität zählen neben der Bewältigung des eigenen Erlebens, auch die Auswirkungen auf das Umfeld. Tritt die Affektlabilität vorübergehend auf, so kommt es oftmals zu sozialen Spannungen, Unverständnis und Konflikten. Meist fehlt das Verständnis der Angehörigen oder sie halten die Affektlabilität für eine nicht ernst zu nehmende Erscheinung. Sind das Verständnis und die Einsicht gegeben, ist es wichtig, dass die Alltagsabläufe umstrukturiert werden.
Oftmals können Pläne nicht mehr umgesetzt werden oder spontane Aktivitäten führen zu einer Verschlimmerung des emotionalen Zustands des Erkrankten. Es wird ein hohes Maß an Sensibilität und Flexibilität der nahen Angehörigen gefordert. Ist die Affektlabilität langanhaltend, so ist damit zu rechnen, dass Veränderungen im sozialen Umfeld erfolgen. Es kommt zu Trennungen und die Gefahr der sozialen Isolierung ist gegeben. Beides kann den Gesundheitszustand weiter verschlechtern.
Bei einer Affektlabilität können Alltagsaufgaben nicht mehr erfüllt werden. Wichtige Prozesse wie das Aufnehmen der Nahrung oder die Einnahme von Medikamenten werden begonnen, aber nicht vollendet. Das hat zur Folge, dass die Erfüllung von lebensnotwendigen Aufgaben kontrolliert werden muss. Alternativ steigt das Risiko weiterer akuter oder schleichender Erkrankungen oder Beschwerden. Meist bedarf es einer Kontrollperson aus dem näheren Umfeld. In schweren Fällen muss eine medizinische Begleitung verordnet werden.
Behandlung und Therapie
Affektlabilität wird nicht als einzelnes Symptom behandelt sondern die dahinterliegende psychische Grunderkrankung. Im Folgenden sind Behandlungswege bei den häufigsten psychischen Störungen beschrieben, die mit Affektlabilität einhergehen.
Depressionen werden in der Regel in Kombination aus Psychotherapie und Einsatz von Psychopharmaka behandelt. Therapeutische Verfahren sind in der Regel Verhaltenstherapie und/oder Psychoanalyse oder auch Tiefenpsychologische Ansätze, je nach Schweregrad der Depression. Pharmakologische Unterstützung wird mit (Antidepressiva oder niedrig potente Neuroleptika gegeben – diese führen zu einer Normalisierung des Neurotransmitterspielgels im Gehirn – das heißt, der Haushalt an Botenstoffen im Gehirn wird wieder hergestellt.
Bipolare Störungen werden ebenfalls in Kombination aus Psychotherapie und Psychopharmaka behandelt. In depressiven Phasen wie Depressionen, in manischen Phasen mit Benzodiazepinen (Beruhigungsmittel) und in Zwischenphasen mit Phasenprophylaktika (Lithium oder Antiepileptika).
Persönlichkeitsstörungen sind in der Regel nicht heilbar, mittlerweile aber gut therapierbar zumeist mit klassischer Psychotherapie – die Krankheitseinsicht und die Compliance (Mitwirkung) des Patienten vorausgesetzt. Bei Mitarbeit des Patienten kann auch eine Verhaltenstherapie gute Resultate erzielen. So kann die in der Kindheit fehlentwickelte (ICH-Störung) Affektkontrolle zumindest teilweise nachgeholt werden.
Bei organische Erkrankungen (Erkrankungen des Zentralen Nervensystems oder Hirnschädigungen) und damit einhergehenden Psychosen steht die Behandlung der organischen Ursache im Vordergrund. Parallel kann die psychische Begleitstörung behandelt werden – etwa mit Neuroleptika. Es muss allerdings akzeptiert werden, dass etwa Demenzen nicht heilbar sind und der Verlauf bestenfalls verlangsamt werden kann.
Aussicht und Prognose
Die Affektlabilität ist je nach Ursache als vorübergehende Erscheinung mit Spontanheilung oder chronisch zu betrachten. Bei Kindern ist sie meist kurzzeitig im Entwicklungsverlauf gegeben. Tritt sie infolge der Monatsblutung oder Wochenbettdepression auf, verschwindet sie meist wieder, sobald sich der Hormonhaushalt reguliert hat.
Ist die Affektlabilität Bestandteil einer Persönlichkeitsstörung ist der Veränderungsprozess langwierig. Die Änderung der Persönlichkeit ist durch eigenen Willen, der Weiterentwicklung über die Lebensspanne oder über gezielte therapeutische Maßnahmen möglich. Der Veränderungsprozess nimmt durchschnittlich eine Zeit von 2 bis 5 Jahre in Anspruch. Die Zeit wird benötigt, damit sich die Veränderungen tief im Bewusstsein verankern können und Reaktionen des impliziten Gedächtnisses neu trainiert werden. Anschließend sind sie als dauerhaft einzustufen.
Ist die Affektlabilität ein Symptom einer chronischen Erkrankung wie beispielsweise einer cerebralen Schädigung, ist die Prognose weniger optimistisch.
Bei Krankheiten wie der Demenz mangelt es nach dem aktuellen medizinischen Stand an ausreichenden Therapiemaßnahmen. Hier ist von einem progressiven Verlauf auszugehen.
Als Symptom einer Psychose wird die Affektlabilität meist mit Psychopharmaka behandelt. Damit wird eine Verbesserung erzielt. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass ein Absetzen der Medikamente oft zu einem Rückfall der Affektlabilität führt. Eine dauerhafte Änderung wird oftmals nur erreicht, wenn die zugrunde liegende Grunderkrankung behandelt und beseitigt werden konnte.
Vorbeugung
Affektlabilität kann einzeln betrachtet nicht vorgebeugt werden, da sie zumeist ein Teil einer psychischen Grunderkrankung ist – und diese lassen sich in der Regel – mit Ausnahme des Drogenkonsums nicht vermeiden. Allerdings werden bestimme psychische Erkrankungen durch Stress ausgelöst oder zumindest wird die Entstehung dadurch begünstigt.
Somit ist eine sinnvolle Prophylaxe die allgemeine und spezielle Stressreduktion – vor allem wenn genetische Dispositionen für psychische Erkrankungen bekannt sind. Das heißt, wenn in der Familie Fälle Psychosen und/oder Demenzen vorkommen. Bei bereits diagnostizierten psychischen Störungen ist auf die Einhaltung der Therapieanweisungen des Arztes zu achten, um die Gefahr einer Verschlimmerung oder eines Wiederausbruchs zu minimieren. Affektlabilität kann also nicht vorgebeugt werden, bei Risikopatienten kann die Gefahr jedoch vermindert werden.
Quellen
- Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013
- Siegenthaler, W. (Hrsg.): Siegenthalers Differenzialdiagnose Innere Krankheiten – vom Symptom zur Diagnose. Thieme, Stuttgart 2005
- Payk, T., Brüne, M.: Checkliste Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2013
- Möller, H., Laux, G., Deister, S.: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2015
- Dilling, H. & Freyberger, H.J.: Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen, Huber Verlag, 6. Auflage 2012
Qualitätssicherung durch: Dr. med. Nonnenmacher
Letzte Aktualisierung am: 22. April 2024
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