Zwanghaftes Lügen

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 26. Februar 2024
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das zwanghafte Lügen ist eine unterschätzte psychische Störung. Betroffene erzählen extreme Lügen, um den eigenen traumatischen Erlebnissen zu entfliehen. Die Realität wird verdreht und an die eigenen Bedürfnisse angepasst. Doch die Geschichten sind nicht unrealistisch und lassen eine Zwangsstörung nur schwer erkennen. Eine Psychotherapie hilft, den Weg raus aus den Lügen zu finden. Dabei müssen Gefühle der Isolation, Minderwertigkeit und Einsamkeit aufgearbeitet werden.

Inhaltsverzeichnis

Was ist zwanghaftes Lügen?

Zwanghaftes Lügen kann mit Hilfe einer Psychotherapie behandelt werden. Die Therapie ist jedoch oft sehr zeitaufwändig, da die Patienten auch während der Therapie lügen.

Das zwanghafte Lügen wird in der Medizin als Pseudologia phantastica bezeichnet. Auch die Begriffe "Münchhausen-Syndrom" und "Hochstapler" sind verbreitet. Betroffene Patienten leiden unter einer extremen Form des Lügens. Es ist ein krankhafter Zwang, erfundene Geschichten zu erzählen und die Tatsachen zu verfälschen. Der Inhalt der Lügen ist ein Gemisch aus Realität und Erfindung. Der Fachbegriff der Pseudologia phantastica wurde erstmals 1871 von Professor Dr. A Delbrück verwendet. Patienten, die zwanghaft lügen, erzählen Geschichten, die nicht unwahrscheinlich sind und einen wahren Kern haben.

Betroffene halten ihre Lügengeschichten über einen langen Zeitraum aufrecht. Dabei werden die erfundenen Geschichten nicht für den persönlichen Gewinn erzählt, sondern führen zu einem Wohlbefinden der Betroffenen. Ein Abgrenzungsmerkmal des zwanghaften Lügens von einem Wahn ist, dass die Patenten die Unwahrheit eingestehen können. Sie wissen, dass sie lügen.

Ursachen

Aus Sicht der Psychoanalyse ist das zwanghafte Lügen ein Abwehrmechanismus. Die erfundenen Geschichten enthalten oftmals den Teil, der mittels der Lüge abgewehrt werden soll. Lügen werden durch beklemmende Gefühle, wie Angst und Scham, hervorgerufen. Weitere Gründe für das Lügen sind Einsamkeit, Isolation und Minderwertigkeitsgefühle. Der Beginn der Pseudologia phantastica liegt in der Kindheit. Während des Heranwachsens entwickelt sich die komplexe Zwangsstörung.

Betroffene kommen mit der Realität und ihren Erfahrungen nicht zurecht. Durch erfundene Geschichten versuchen sie dieser Überforderung zu entkommen. Wenn jemand ein traumatisches Ereignis erlebt hat, ist das zwanghafte Lügen eine Möglichkeit mit dieser Erfahrung umzugehen. Ein Betroffener, der öffentlich herrschende Ideale und Werte verachtet, wehrt im Inneren seine Sehnsucht nach einer idealisierbaren Elternfigur ab.

Die Zurückweisung im Kindesalter löst eine narzisstische Spannung im Innern der Patienten aus. Verbunden mit diesem Trauma sind auch auftretender Scham und Hypochondrie. Betroffene fühlen sich durch ihr eigenes Handeln bestätigt. Denn sie empfinden Stolz, da sie in der Lage sind, mit ihren Geschichten ihre Mitmenschen zu beeinflussen. Damit bestärken sie ihr Selbstwertgefühl. Die in ihn herrschende Leere und Selbstzweifel werden durch die Lügen kompensiert.

Krankheiten

Wann zum Arzt?

Falls eine Person an einem zwanghaften Lügen leidet, sollte auf jeden Fall ein Arzt aufgesucht werden. In diesem Fall handelt es sich um einen sehr schwerwiegenden psychischen Zustand, der unbedingt von einem Psychologen behandelt werden muss. Es ist in der Regel nicht möglich, das zwanghafte Lügen zu Hause zu behandeln. Oft sind dafür viele Sitzungen beim Psychologen notwendig, in einigen Fällen werden Patienten auch in eine geschlossene Anstalt eingewiesen, falls sie für sich selbst oder für andere Menschen eine Gefahr darstellen.

Die Behandlung erfolgt in den meisten Fällen durch Gespräche mit einem Therapeuten und unter der Einnahme von Medikamenten. Meistens dauert es allerdings einige Monate, bis das zwanghafte Lügen vollständig geheilt ist. Oft sind aufgrund des Symptoms auch die sozialen Kontakte betroffen, sodass es zusätzlich zu sozialen Problemen und Ausgrenzungen kommen kann, was in einer Depression mündet.

Daher muss ein zwanghaftes Lügen immer von einem Arzt untersucht und behandelt werden. Dies gilt vor allem dann, wenn die betroffene Person sich selbst nicht eingestehen kann, dass sie unter diesem Symptom leidet. Falls das Symptom nicht behandelt wird, kann es zu schweren psychischen Problemen kommen.

Diagnose und Verlauf

Die Pseudologia phantastica ist noch recht unerforscht. Es gibt kaum Fachliteratur oder Fallzahlen. Klinisch wird zwanghaftes Lügen selten diagnostiziert. Forschende Institute stufen zwanghaftes Lügen nicht als selbstständiges psychisches Phänomen ein. Daher wird Pseudologia phantastica in die Klassifizierung der narzisstischen Persönlichkeitsstörungen integriert. Zu den Hauptcharakteristika zählen eine ausgeprägte darstellerische Fähigkeit, ein gutes Gedächtnis und eine sehr gute verbale Ausdrucksweise.

Notorisches Lügen zu diagnostizieren ist schwierig, da die Lügengeschichten nicht abgehoben oder unrealistisch sind. Doch es gibt Indizien darauf, ob jemand zwanghaft lügt. Krankhafte Lügner präsentieren sich gerne als ein Opfer oder Angehöriger von Opfern. Sie behaupten, unter einer schweren Krankheit zu leiden, Überlebender einer Naturkatastrophe, eines Anschlags oder ähnlichem zu sein.

Zu ihren zwanghaften Lügen zählen auch erfundene Doktortitel oder Verwandtschaftsverhältnisse zu Prominenten. Doch werden notorische Lügner zu ihren erzählten Ereignissen befragt, widersprechen ihre Aussagen den Fakten. Auf konkrete Fragen reagieren Betroffene mit Ausweichen. Ihre Erzählungen beinhalten chronologische und inhaltliche Widersprüche. Im Verlauf der Krankheit spinnen sich die Betroffenen ihr Netz aus Lügen. Sie bauen ihre Geschichten weiter aus und halten diese aufrecht.

Komplikationen

Bei einem zwanghaften Lügen kommt es in der Regel zu starken Komplikationen im sozialen und psychischen Bereich. Das Lügen wirkt sich vor allem negativ auf die Beziehungen zu den Freunden, Verwandten oder auch zum eigenen Partner aus. Hier können Freundschaften beendet werden, was sich weiterhin negativ auf die psychische Situation des Patienten auswirkt. In vielen Fällen kann der Betroffene selbst nicht mehr unterscheiden, welche Geschehnisse erlogen sind und welche nicht. Dies führt zu einer allgemeinen Versiertheit, Kopfschmerzen und starken Depressionen. In seltenen Fällen kann es dadurch zu Selbstmordgedanken und im schlimmsten Falle zum Selbstmord kommen.

In der Regel ist auch das Aufsuchen der Arbeitsstelle für den Patienten nicht mehr ohne Weiteres möglich. Die Behandlung erfolgt in der Regel bei einem Psychologen mit Hilfe von Gesprächen. Sie kann allerdings auch durch Medikamente unterstützt werden. Ob die Behandlung zum Erfolg führt, kann nicht universell vorausgesagt werden. In einigen Fällen ist auch die Einweisung des Patienten in eine geschlossene Klinik notwendig, wenn es zu einem vollkommenen Realitätsverlust kommt. Durch die Einnahme von Psychopharmaka kann es zu Gefühlsschwankungen, Kopfschmerzen und einer allgemeinen Müdigkeit kommen.

Behandlung und Therapie

Das zwanghafte Lügen ist ein psychopathologisches Phänomen. Dessen Behandlung kann nur durch eine Psychotherapie erfolgen. Da allerdings die Pseudologia phantastica nicht als eigenständige Erkrankung, sondern als Begleitsymptom angesehen wird, richtet sich die Therapie auf die zu Grunde liegende seelische Störung. Eine Therapie gegen zwanghaftes Lügen gestaltet sich gerade für den Psychotherapeuten recht schwierig, da Patienten oftmals während der Sitzung lügen. Daher ist es zeitaufwendig eine Vertrauensbasis zwischen Therapeuten und Betroffenen herzustellen. Zunächst muss der Betroffene deutlich machen, dass er sein notorisches Lügen ablegen möchte. Erst aus eigenem Antrieb wird es zu einer Psychotherapie kommen.

Betroffene verspüren meist keinen starken Leidensdruck unter ihren Lügen. Daher ist eine Aufgabe des Therapeuten, die Motivation des Patienten aufzubauen. Einmal motiviert, soll der Patient gestärkt werden. Sein Selbst soll sich stabilisieren. Wenn die Psyche gefestigt ist, wird sich das Lügen reduzieren. Denn das zwanghafte Lügen ist ein Ausdruck der Unsicherheit und der Abwehr, die auf diese Weise überbrückt werden.

Neben der Stärkung ist auch die Entwicklung alternativer Handlungs- und Denkweisen wichtig für eine erfolgreiche Behandlung. Die Betroffenen müssen lernen, welche Konsequenzen ihre Lügen haben können. Auch das Reflektieren von Antworten und Geschichten wird in der Behandlung thematisiert. Indem sich die Patienten die Zeit nehmen, um ihre Geschichten zu überdenken, sollen sie die Lüge überspringen und ehrlich antworten.


Vorbeugung

Die Vorbeugung des zwanghaften Lügens ist nur schwer realisierbar. Denn die Ursachen für notorisches Lügen beginnen oftmals im Kindesalter und sind Zeichen eines Traumas oder Vernachlässigung. Um den Ausbruch der Pseudologia phantastica zu verhindern muss eine Person eine psychische Ausgeglichenheit aufweisen. Das heißt, Einsamkeit, Isolation und Minderwertigkeitsgefühle müssen beseitigt werden. Dies gelingt am besten, indem sich Betroffene jemanden anvertrauen.

Bereits an dieser Stelle ist eine psychotherapeutische Behandlung zu empfehlen. Denn Traumata und depressive Verstimmungen können gut mit einem geschulten Therapeuten aufgearbeitet werden. Gemeinsam kann ein Weg erarbeitet werden, wie mit den belastenden Gefühlen umgegangen werden kann. Eine frühzeitige Therapie ist das Ventil, das Betroffene brauchen, um mit ihren bedrückenden Erlebnissen umzugehen. Statt des notorischen Lügens als Abwehrsystem, kann während des therapeutischen Gesprächs über alle realen Ereignisse gesprochen werden. Es kommt zu einer Bewältigung der Traumata.

Quellen

  • Payk, T.: Checkliste Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Dilling, H. & Freyberger, H.J.: Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen, Huber Verlag, 6. Auflage 2012
  • Siegenthaler, W. (Hrsg.): Siegenthalers Differenzialdiagnose Innere Krankheiten – vom Symptom zur Diagnose. Thieme, Stuttgart 2005
  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2012
  • Tölle, R., Windgassen, K.: Psychiatrie. Springer, Berlin 2014

Dieser Artikel wurde unter Maßgabe der aktuellen medizinischen Fachliteratur und fundierter wissenschaftlicher Quellen verfasst.
Qualitätssicherung durch: Dr. med. Nonnenmacher
Letzte Aktualisierung am: 26. Februar 2024

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