Tourniquet-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Tourniquet-Syndrom zieht lebensbedrohliche Komplikationen nach sich, die meistens einer nach der Reperfusion (Wiederanschluss) eines zuvor über einen längeren Zeitraum abgebundenen Körperteils an den Blutkreislauf auftritt. Die Patienten können Herzrhythmusstörungen, Schockstände und irreversible Nierenschäden erleiden.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Tourniquet-Syndrom?

Die Fachsprache bezeichnet das Tourniquet-Syndrom auch als Reperfusionstrauma. Dieser Zustand tritt immer dann auf, wenn ein Körperteil über einen längeren Zeitraum nicht ausreichend mit Blut versorgt wurde und anschließend erneut an den Blutkreislauf angeschlossen wird. Die Toleranzzeit dieser Minderdurchblutung (Ischämie) beträgt durchschnittlich sechs Stunden, wobei dieses Zeitfenster auch von der individuellen Verfassung des Patienten abhängig ist. Die wissenschaftliche Bezeichnung geht zurück auf die Tourniquet-Ligatur, bei dem es sich um ein chirurgisches Hilfsmittel handelt, um große Gefäßstämme anzubinden, welches jedoch keine Verwendung mehr findet.

Ursachen

Das Tourniquet-Syndrom ist paradox, denn medizinische Laien gehen davon aus, dass die Wiederherstellung der Durchblutung eines unterversorgten Körperteils Leben rettet und sich nicht lebensbedrohlich auswirkt. Der medizinische Ausgangspunkt ist jedoch ein anderer. Die Ischämie (Minderdurchblutung) der unterversorgten und damit vom Blutkreislauf abgebundenen Extremität bringt den Stoffwechsel durcheinander.

Die deutsche Bezeichnung lautet Stauschlauch-Syndrom und beschreibt die „Strangulation von Extremitäten durch geeignete Fremdmaterialien“ (z. B. Schnüre, Haare, Tücher). Dieser Vorgang führt zu schmerzhaften Schwellungen und einer Unterversorgung des betroffenen Körperteils mit Blut und stellt einen chirurgischen Notfall dar, weil die Ischämie zu lebensgefährlichen Gewebsnekrosen führen kann.

Das Tourniquet-Syndrom stellt sich demzufolge überwiegend durch Unfälle oder Gewalteinwirkung (z. B. Strangulation) ein. Weisen Säuglinge und Kleinkinder derartige äußerliche Anzeichen auf, können sie Opfer von Kindesmissbrauch sein. Die Notwendigkeit, Extremitäten abzubinden ist zum Beispiel bei schweren Verletzungen indiziert, um die betroffene Person vor einem übermäßigen Blutverlust zu schützen.

Symptome und Verlauf

Durch die Reperfusion, den erneuten Anschluss des abgebundenen Köperteils an den Blutkreislauf, schwemmen pathologische Stoffwechselprodukte in den übrigen Organismus ein, die dort zu erheblichen Schäden führen. Der durch die Ischämie betroffene Körperteil weist eine Azidose (Übersäuerung) durch eine erhöhte Lactatbildung auf. Auf diese Weise entstehen vermehrt Sauerstoffradikale, die sich schädlich auf die Zellstruktur auswirken.

Nach einer bestimmten Zeit setzt die Auflösung von quergestreiftem Muskelgewebe (Rhabdomyolyse) ein. Die absterbenden Zellen setzen jetzt ihrerseits Myoglobin und Kalium frei. Diese freigesetzten Teilchen verursachen Ödeme im Extra-Zellulärraum, die den Druck auf die umliegenden Gewebestrukturen erhöhen. Das in diesem Prozess entstehende Kalium ist verantwortlich für den lebensbedrohlichen Zustand des Patienten.

Verteilt sich diese Substanz nach dem Wiederanschluss (Reperfusion) über den gesamten Organismus, kommt es zu einer Hyperkaliämie, die Herzrhythmusstörungen oder sogar einen Herzstillstand verursachen kann. Die typischen Beschwerden beim Tourniquet-Syndrom sind Ischämie, Nekrosen, Übersäuerungen, Herzrhythmusstörungen, Nierenversagen und Herz-Kreislauf-Stillstand.

Diagnose

Das Tourniquet-Syndrom lässt sich durch die abgebundene, mit Blut unterversorgte Extremität feststellen. Dieser vom Blutkreislauf abgebundene Köperteil ist geschwollen, gerötet und überwärmt. Die Reperfusion verursacht einen Volumenmangelschock und generalisierte Ödeme. Dadurch kommt es zu der typisch blassen Hautfarbe, erhöhter Herzfrequenz und Blutdruckabfall.

Für den Mediziner ist der Schockindex damit positiv. Laborbefunde unterstützen die Diagnostik. Das Blut weist eine schwerwiegende metabolische Azidose und die für diesen Zustand typisch erhöhten Kaliumwerte auf. Der dunkelrot gefärbte Urin weist auf eine Nierenschädigung hin.

Behandlung und Therapie

Die Behandlung dieses ischämischen Schockzustandes konzentriert sich zunächst auf die Beseitigung der lebensbedrohlichen Zustände. Der hypovolämische Schock und die Herzrhythmusstörungen müssen behandelt werden. Hyperventilation wirkt der metabolischen Azidose entgegen. Auch eine Abmilderung durch Bicarbonate ist möglich. Um die Nierenfunktion zu erhalten, sind eine Hämofiltration (Dialyse zum Entzug harnpflichtiger Substanzen) und eine massive Volumengabe indiziert. Der Erfolg dieser Therapiemethoden ist abhängig davon, in welchem Zeitfenster die Reperfusion (Wiederanschluss) des abgebundenen Körperteils erfolgt.

Besteht die Blutunterversorgung (Ischämie) des betroffenen Körperteils seit längerer Zeit und sind die Gewebeschäden bereits zu stark ausgebildet, besteht nur noch die Möglichkeit einer Amputation, um noch schlimmeres, den Tod des Patienten, zu verhindern. Bewegt sich die Behandlung innerhalb eines Zeitfensters von vier Stunden, beträgt die Amputationsrate lediglich vier Prozent. Dauert die Ischämie bereits zwölf Stunden an, muss mit einer Amputationsrate von dreißig bis fünfzig Prozent gerechnet werden.

Durch innovative intensiv-medizinische Behandlungsmethoden haben sich die lebensbedrohlichen Auswirkungen des Tourniquet-Syndroms verringert, jedoch ist dieses Krankheitsbild nicht zu unterschätzen. Die medizinische Literatur geht im Fall einer Ischämie der unteren Extremität noch immer von einer Letalität in Höhe von zwanzig Prozent aus.



Vorbeugung

Die beste Prävention dieses lebensbedrohlichen Zustandes besteht darin, einen Körperteil nie länger als notwendig abzubinden. Ist eine Abbindung notwendig, um die betroffene Person, zum Beispiel nach einem Unfall, vor extremen Blutverlust zu schützen, ist eine Herunterkühlung vor dem Wiederanschluss (Reperfusion) indiziert. Diese Maßnahme verringert die Entstehung schädlicher Stoffwechselprodukte und reduziert die Aktivität gewisser Enzyme, die sich negativ auf den übrigen Organismus auswirken.

Um den Patienten nach lang anhaltender Ischämie vor den Folgen des Touriquet-Syndroms zu bewahren, bleibt als einzige Möglichkeit nur noch die Amputation des minderdurchbluteten Köperteils.

Quellen

  • Herold, G.: Innere Medizin, Gerd Herold, 1. Auflage, 2013
  • Hahn, J.-M.: Checkliste Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013
  • Roskamm, H., et al.: Herzkrankheiten. Springer, Heidelberg 2004
  • Böhm M, Hallek M, Schmiegel W (Hrsg): Innere Medizin, begr. von Classen M, Diehl V, Kochsiek K, 6. Auflage, München Elsevier Urban & Fischer Verlag 2009

Dieser Artikel wurde unter Maßgabe der aktuellen medizinischen Fachliteratur und fundierter wissenschaftlicher Quellen verfasst.
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