Multiple endokrine Neoplasie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Unter multipler endokriner Neoplasie (MEN) werden benigne (gutartige) und maligne (bösartige) Tumore bestimmter endokriner Drüsen wie Nebenschilddrüsen, Bauchspeicheldrüse (Pankreas), Hypophyse und anderen Organen zusammengefasst, die auf zwei verschiedenen, bekannten und überprüfbaren Gendefekten an zwei unterschiedlichen Genen beruhen.

Inhaltsverzeichnis

Was ist multiple endokrine Neoplasie?

Bei der MEN sind die Drüsen des endokrinen Systems betroffen. Die Erkrankung wird meist erst nach Jahrzehnten bemerkt.

Multiple endokrine Neoplasien werden je nach befallenen Organen und je nach ihren physiologischen Merkmalen in MEN 1 – auch Wermer Syndrom genannt – und MEN 2 A und 2 B unterschieden. Es gibt auch Autoren, die noch den MEN-Typ 3 (A, B, C) beschreiben, der hauptsächlich die Nebenschilddrüsen (Glandula parathyreoidea), das sympathische Nervensystem und den Verdauungstrakt betreffen.

Als MEN 1 werden Tumore der 4 Nebenschilddrüsen, der Hirnanhangdrüse (Hypophyse) und/oder der Langer-Hans Inseln in der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) bezeichnet. Von MEN 2 können ebenfalls die Nebenschilddrüsen, aber auch die Schilddrüse (Thyreoidea) selbst und die Nebennieren sowie – seltener – andere Organe in Mitleidenschaft gezogen werden. Gemeinsam ist den MEN, dass meist eine Überfunktion der entsprechenden Hormone stattfindet, die nicht mehr auf Steuerhormome ansprechen. Es findet über die Neoplasien eine autonome Produktion der Hormone statt.

Beide Gendefekte werden autosomal-dominant vererbt. Das bedeutet, dass der Defekt mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % an Kinder des betroffenen Elternteils weitergegeben wird. Eine Therapie kann darin bestehen, bereits entwickelte Tumore chirurgisch zu entfernen oder im Falle einer erhöhten Hormonproduktion Antagonisten des Hormons zu verabreichen oder sogar ein Organ prophylaktisch zu entfernen.

Ursachen

MEN des Typs 1 werden durch eine Mutatione des MEN 1 Gens verursacht, das sich auf dem Genlocus 11q13 befindet. Streng genommen werden die Neoplasien nicht durch das mutierte Gen ausgelöst, sondern können vom körpereigenen Abwehrsystem nicht verhindert werden, weil das Tumorsuppressorgen MEN 1 durch die Mutation inaktiviert wird und einen sich bildenden Tumor nicht unterdrücken kann. MEN des Typs 2 werden durch eine Mutation des RET-Protoonkogens ausgelöst, das sich auf dem Genlocus 10q11.2 befindet.

Warum das mutierte Gen die Ausbildung eines medullären Schilddrüsenkarzinoms, der von den C-Zellen ausgeht, begünstigt, ist noch nicht vollständig verstanden. Gesichert ist, dass nicht gesteuerte Wachstumshormone eine Rolle spielen. In vielen Fällen löst das mutierte Gen zusätzlich ein Phäochromozytom des Nebennierenmarks aus, das zwar in den meisten gutartig ist, aber unkontrolliert Katecholamine wie Adrenalin, Noradrenalin und Metanephrine synthetisiert und in die Blutbahn entlässt.

Symptome und Verlauf

Charakteristisch bei der Entwicklung von MEN 1-Symptomen ist, dass sie meist an mehreren Organen gleichzeitig auftreten, weil der entsprechende Gendefekt in allen Zellen vorliegt. Die Symptome können sich – zunächst fast unbemerkt – über einen Zeitraum von bis zu 4 Jahrzehnten entwickeln, ohne dass es zu gravierenden Beeinträchtigungen kommt. Ernsthafte gesundheitliche Schäden können auftreten, wenn eine ständige Überversorgung mit bestimmten Hormonen vorliegt, die z. B. zu einem gestörten Knochenbau, zu Depressionen und zu anderen Symptomen führen kann.

Im Falle eines medullären Schilddrüsenkarzinoms, der sich durch den oben beschriebenen Gendefekt ausgebildet hat, kann sich im Krankheitsverlauf zusätzlich ein Phäochromozytom manifestieren. Häufig gesellen sich noch Neurinome hinzu, benigne Karzinome der Nervenscheiden des peripheren Nervensystems. Obwohl die Tumore, die sich im Rahmen des MEN ausbilden, nicht immer maligne sind, können sie im weiteren Krankheitsverlauf durch eine Überversorgung des Körpers mit bestimmten Hormonen oder allein durch den physischen Platzbedarf schwere, nicht reversible, Schäden verursachen.

Diagnose

Charakteristisch für eine MEN-Erkrankung ist, dass mehrere Organe gleichzeitig betroffen sind. Bei einem Verdacht auf Vorliegen eines der vielen MEN-Syndrome, kann bereits eine gründliche Anamnese Aufschluss darüber geben, ob einer der beiden Gendefekte vorliegen könnte, bzw. ob Familienmitglieder an einer Form der MEN erkrankt waren. Ein erhöhter Kalziumspiegel im Blutserum und im Urin deutet z. B. auf ein Hyperparathyreoidismus hin, der auf autonome – nicht mehr steuerbare – Hyperplasien in den Nebenschilddrüsen schließen lässt. Falls die Bauchspeicheldrüse betroffen ist, kann es zu einer Überproduktion an Insulin durch Insulinome kommen, die Unterzuckerungen mit Zittern, Konzentrationsstörungen bis zur Bewusstlosigkeit bewirken.

Behandlung und Therapie

Die Behandlung einer Erkrankung an einem der MEN-Syndrome hängt davon ab, welche Organe betroffen sind und davon, ob sich maligne Tumore ausgebildet haben oder ob Hyperplasien an endokrinem Drüsengewebe zu unkontrollierten Hormonausschüttungen führen. In schweren Fällen, z. B. bei Diagnostizierung eines medullären Schilddrüsenkarzinoms kann nur eine vollständige Entfernung der Schilddrüse (Thyreoidektomie) Aussicht auf einen Therapieerfolg bieten.

Falls bereits bei Kleinkindern ein MEN 2 auslösender Gendefekt festgestellt wird, kann eine prophylaktische operative Entfernung der Schilddrüse zwischen dem 6. und 12. Lebensjahr angezeigt sein, wenn sich nicht bereits früher Krankheitssymptome einstellen, die einen noch früheren Eingriff erforderlich machen.

Bei Vorliegen von Hyperplasien an allen vier Nebenschilddrüsen, die eine autonome Überversorgung mit dem Parathormon verursachen, müssen alle vier Nebenschilddrüsen bis auf einen kleinen Geweberest operativ entfernt werden. Der kleine Geweberest kann z. B. in den Arm verpflanzt werden. Das Gewebe wächst sich nach der Implantierung zu einer vollständigen Nebenschilddrüse aus und produziert wichtige Hormone wie das Parathormon, das essenzielle Funktionen im Kalzium- und Phospatstoffwechsel der Knochen wahrnimmt.


Vorbeugung

Eine direkte vorbeugende Maßnahme, die den Ausbruch der MEN-Krankheit verhindern könnte, gibt es nicht. Vorbeugende Maßnahmen bestehen hauptsächlich in einem zeitlich engmaschigen Screening bestimmter Hormonspiegel, um festzustellen, ob sich evtl. bereits hormonabgebende Neoplasien gebildet haben. Im Zweifelsfall können auch bildgebende Verfahren wie Sonografie, CT, MRT und fMRT herangezogen werden. Es kann sogar die operative Entfernung bestimmter endokriner Drüsen als vorbeugende Maßnahme angezeigt sein.

Quellen

  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2011
  • Siegenthaler, W. (Hrsg.): Siegenthalers Differenzialdiagnose Innere Krankheiten – vom Symptom zur Diagnose. Thieme, Stuttgart 2005
  • Koop, I.: Gastroenterologie compact. Thieme, Stuttgart 2013
  • Arastéh, K., et al.: Duale Reihe. Innere Medizin. Thieme, Stuttgart 2013

Dieser Artikel wurde unter Maßgabe der aktuellen medizinischen Fachliteratur und fundierter wissenschaftlicher Quellen verfasst.
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Letzte Aktualisierung am: 15. November 2021

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