Hospitalismus

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Mit Hospitalismus werden Reaktionen auf Extrembelastungen oder Anpassungsstörungen oder Bindungsstörungen mit möglicher Enthemmung als Folge bezeichnet. Die Folgen sind Störungen in emotionalen Beziehungen, die gravierend und teils unkorrigierbar sind.

Inhaltsverzeichnis

Was ist Hospitalismus?

Infolge eines Krankenhausaufenthaltes, Heimaufenthaltes, Inhaftierung, Folter oder Isolationshaft entstandene negative psychische aber auch körperliche Folgen wurden ursächlich als Deprivationssyndrom oder Hospitalismus zusammengefasst. Das kann auch bei anderen traumatischen Ereignissen wie Kriegsgeschehnisse, Entführungen aus der Heimat, Zwangseinsperrung aus politischen Gründen und dergleichen Gewaltmaßnahmen zu solchen Nachwirkungen kommen.

Der Hospitalismus ist artverwandt zur posttraumatischen Belastungsstörung und zieht besonders durch Erlebnisse im Kindheitsalter unveränderbare prägende Entwicklungsstörungen nach sich. Deprivation bedeutet im lateinischen "berauben" bezogen auf Reize und Zuwendung. Der durch eine gewaltsame Herausnahme aus der gewohnten Umgebung entstandene bewusste oder unbewusst wahrgenommene psychische Schock wird beim Hospitalismus als Zuwendungsdefizit negativ verarbeitet.

Ursachen

Die Ursachen des Hospitalismus sind überall dort zu suchen, wo Menschen mit negativen Beziehungen in Form von Vernachlässigung, negativer Ablehnung oder fehlenden Bindungen konfrontiert wurden. Das kann bei Personalmangel in Pflegeeinrichtungen, Kinderheimen oder auch in Krankenhäusern auftreten.

Mitunter aber sind Kinder in den eigenen Familien physischer oder psychischer Misshandlung oder Vernachlässigung ausgesetzt. Das Fehlen akustischer oder optischer Stimulation wirkt hospitalismusfördernd. Hospitalismus tritt dort verstärkt auf, wenn zum Beispiel Kindern nicht die Möglichkeit gegeben wird, sich frei zu bewegen, genügend Auslauf zu haben und nur im Gitterbett gehalten wird. Eine lange Fixierung zur Ruhigstellung psychisch Kranker oder alter Menschen kann Hospitalismus zur Folge haben.

Ein physischer Hospitalismus wird verursacht durch ungenügende pflegerische Maßnahmen während einer Unterbringung eines Kranken oder Pflegebedürftigen. Durch fehlende krankengymnastische Übungen, seltenes körperliches Umlagern oder unzureichende hygienische Maßnahmen wird das Entstehen von Hospitalismus begünstigt. Ein psychischer Hospitalismus kann wie bereits erwähnt durch fehlende emotionale Zuwendung, das Fehlen von Stimulationen oder Beschäftigungsangeboten bedingt sein.

Wann zum Arzt?

Da der Hospitalismus an einen Aufenthalt in einem Krankenhaus gebunden ist, müssen bei auftretenden Symptome die behandelnden Ärzte um Mitarbeit gebeten werden. In den meisten Fällen werden notwendige Hilfemaßnahmen jedoch bereits durch das verfügbare Personal vor Ort erfasst und eingeleitet. Die Mitarbeit des Betroffenen oder dessen Angehörigen ist daher wünschenswert und vorteilhaft, wird jedoch oft nicht benötigt.

Das Pflegepersonal und der betreuende Arzt sind zu kontaktieren, sobald es bei dem Erkrankten zu auffälligen Veränderungen kommt. Diese können sich auf körperliche, seelische wie auch emotionale Wandlungen beziehen, die in der vorliegenden Situationen als ungewöhnlich aufgefasst werden. Je nach Grunderkrankung gibt es Nebenwirkungen und Symptome, die berücksichtigt werden müssen. Kommt es darüber hinaus zu besorgniserregenden Entwicklungen, sollte das Personal informiert werden.

Besonders starke Verhaltensauffälligkeiten oder der Verlust der Lebensmotivation sind mit dem Arzt oder den Pflegekräften zu besprechen. Bei einer immensen Bewegungseinschränkung, Beschwerden durch eine vorhandene Bettlägerigkeit oder Veränderungen des Hautbildes, muss eine Rücksprache mit den Ansprechpartnern des Krankenhauses erfolgen. Zeigen Körperregionen Auffälligkeiten, die mit der Grunderkrankung nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen, wird eine ärztliche Versorgung benötigt. Eine Verweigerung der Nahrung, Reizbarkeit, Feindseligkeit oder stereotype Bewegungsabläufe des Erkrankten gelten als besorgniserregend und müssen medizinisch abgeklärt werden.

Symptome und Verlauf

Typische Symptome von Hospitalismus:

  • Bindungsstörung
  • Jaktation
  • Selbstverletzendes Verhalten
  • Daumenlutschen

Der Verlauf des Hospitalismus hängt davon ab, in welcher physischen oder psychischen Verfassung sich der Betroffene befindet, wie lange die negative schädigende Einflussnahme bestanden hat, die der Betroffene erleiden musste und wie stark die Symptome ausgeprägt sind. Durch frühzeitige Intervention kann mitunter ein vollständiges Abklingen der Symptomatik herbeigeführt werden.

Sollten sich beim Betroffenen über einen längeren Zeitraum bereits physische oder psychische Folgeerkrankungen eingestellt haben, ist durch die Intervention vielleicht eine Symptomverbesserung erreichbar. Allerdings wird es in diesem Fall kaum zu einer vollständigen Heilung kommen.

Diagnose

Anhand der typischen Symptome sowie der Krankengeschichte mit meistens längeren Krankenhausaufenthalten oder Unterbringungen kann der Hospitalismus diagnostiziert werden. Die Diagnose des physischen Hospitalismus ist einfacher, da bestimmte Einflussfaktoren auftretenden Symptomen zugeordnet werden können. Eine genaue Zuordnung psychischer Symptome zu charakteristischen Einflussfaktoren ist in der Regel schwierig.

Derartige Diagnosen eines psychischen Hospitalismus werden von Psychiatern vorgenommen. Dabei achtet er darauf, dass der Hospitalismus vom Autismus abzugrenzen ist. Der Autismus ist meist nicht reversibel und nicht auf Traumatisierung zurückzuführen. Für den Psychiater ist es daher hilfreich zu wissen, wann und welche Symptome erstmalig auftraten. Abzugrenzen ist der Hospitalismus auch von einer Depression, deren Symptome zwar ähnlich aber deren Verlauf nicht unbedingt mit geistigen oder körperlichen Defiziten einhergeht.

Komplikationen

Ein infektiöser Hospitalismus, also eine Form der Deprivation, die durch Infektionen aufgrund mangelnder Hygiene oder körperlicher Vernachlässigung ausgelöst wird, kann eine Reihe von Komplikationen nach sich ziehen. Hat der Patient sich wund gelegen, entzünden sich die betroffenen Stellen sehr schnell.

In schweren Fällen droht ein Dekubitalgeschwür, das äußerst schmerzhaft sein kann und in der Regel nur schwer und sehr langsam wieder ausheilt. Geht das Wundliegen zudem mit einem Gewebeschaden einher, breitet sich dieser meist sehr schnell aus. Ohne rechtzeitige Behandlung kann sich eine Nekrose bilden. Das abgestorbene Gewebe muss dann operativ entfernt werden.

Durch mangelnde Hygiene kann es zu schweren Infektionen mit Staphylokokken und Streptokokken kommen. Diese Infektionen können, vor allem wenn antibiotikaresistente Erreger involviert sind, lebensgefährlich verlaufen. Weniger gefährlich, aber für den Betroffenen dennoch sehr belastend sind durch mangelnde Hygiene verursachte Infektionen mit Krätze.

Beim psychischen Hospitalismus treten Komplikationen in Form von Entwicklungsverzögerungen oder Verhaltensauffälligkeiten auf. Eine besonders extreme Form des psychischen Hospitalismus stellt das Kasper-Hauser-Syndrom dar. Hier kommt es bei Kindern aufgrund permanenter Vernachlässigung, unzureichender Pflege und Liebesentzug zu einem schweren körperlichen und geistigen Entwicklungsrückstand.

Behandlung und Therapie

Als Behandlung des Hospitalismus muss zunächst die schädliche Umgebung beseitigt werden. Der Betroffene sollte sich in fürsorglicher Umgebung aufhalten, um vor allem bei Kindern weitere Defizite vorzubeugen und dadurch zumindest einen Teil der Symptome verschwinden zu lassen. Erfolgt diese Intervention nicht rechtzeitig, entwickeln sich daraus bleibende Schäden mit der Folge psychotherapeutischer Maßnahmen. Das rechtzeitige Erkennen und Behandeln dieser Erkrankung ist für den Erfolg ausschlaggebend.

Zusätzlich muss eine Therapie der sekundär erworbenen Infektionen stattfinden. Flüchtlings- oder Waisenkinder werden in Pflegefamilien oder Kinderdörfern untergebracht. Für die Betreuung alter und pflegebedürftiger Menschen sind Einrichtungen des betreuten Wohnens, qualitätsbewusste Heime, evtl. mit kleinen Wohngruppen oder Hausgemeinschaften als eine Möglichkeit der Prävention, weiterhin die ambulante Pflege, die Hospizbewegung und besondere integrative Therapieprogramme. Das Therapieprogramm in Geel in Belgien schafft die Möglichkeit, psychisch kranke Menschen in Familien aufzunehmen. Schwere Formen des psychischen Hospitalismus können mit Psychopharmaka behandelt werden.

Beim physiologischen Hospitalismus geht es um Vorbeugung der Verabreichung falscher Medikament oder falscher Dosierungen, Behandlung älterer pflegebedürftiger Menschen bei Auftreten von Dekubitus. Beim infektiösen Hospitalismus muss mittels Kontamination gegen Verunreinigung von Flächen, Händen, Pflegeutensilien oder Flüssigkeiten mit Krankheitskeimen vorgegangen werden. Es ist darauf zu achten, in Heimen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen gegen eine Antibiotikum-Resistenz vorzugehen bzw. einer solchen vorzubeugen.

Die Behandlungen sind also allgemein Psychotherapie, physikalische Therapie oder Infektbekämpfung. Neben der Verabreichung von Psychopharmaka gibt es ein weites Spektrum an Möglichkeiten wie Musik-, Kunst-, und Gestaltungstherapie, Beschäftigungs- und Arbeitstherapie, Gedächtnistraining, Selbstsicherheitstraining, Entspannungstraining, Autogenes Training, psychosoziale Betreuung, Bewegungstherapie, Sporttherapie, Sprachtherapie, Lichttherapie u. v. m.


Vorbeugung

Vorbeugend beim Hospitalismus ist es wichtig, auf eine bedürfnisorientierte Fürsorge und Pflege hilfebedürftiger oder schutzbefohlener Menschen zu achten. Vorbeugend wirkt gegen psychischen Hospitalismus ein wertschätzendes Umfeld. Die Einhaltung von Hygienevorschriften in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ist ein weiterer Aspekt.

Außerdem gibt es ein breites Repertoire an Interventionen wie basale Stimulation, Kinästhetik, Milieugestaltung oder eine tiergestützte Therapie als Prophylaxe und Behandlung des Hospitalismus. Ehrenamtliche Besuche, regelmäßige Kontakte von Sozialarbeitern und Beschäftigungstherapeuten zu alten und kranken Menschen dienen einer wirksamen Prävention.

Quellen

  • Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Mattle, H., Mumenthaler, M.: Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Siegenthaler, W. (Hrsg.): Siegenthalers Differenzialdiagnose Innere Krankheiten – vom Symptom zur Diagnose. Thieme, Stuttgart 2005
  • Payk, T., Brüne, M.: Checkliste Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Bewermeyer, H.: Neurologische Differenzialdiagnostik, Schattauer Verlag, 2011

Dieser Artikel wurde unter Maßgabe der aktuellen medizinischen Fachliteratur und fundierter wissenschaftlicher Quellen verfasst.
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