Anticholinergika

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 16. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Bei Anticholinergika handelt es sich um Wirkstoffe, die sich auf das parasympathische Nervensystem auswirken. Dabei wird der Einfluss des Parasympathikus vermindert.

Inhaltsverzeichnis

Was sind Anticholinergika?

Anticholinergika tragen auch die Bezeichnungen Antiparasympathomimetika, Muskarin-Rezeptor-Antagonisten oder Parasympatholytika. Gemeint sind damit Arzneistoffe, durch die die Wirkung des Parasympathikus reduziert wird. Beim Parasympathikus handelt es sich um einen Bestandteil des autonomen Nervensystems. So stellt er den Widerpart des Sympathikus dar. Zu seinen Aufgaben innerhalb des vegetativen Nervensystems gehört es, den Körper regenerieren zu lassen und ihn in Ruhe zu versetzen.

Werden Anticholinergika verabreicht, sorgen sie im parasympathischen Nervensystem für das Hemmen des wichtigen Trägerstoffes Acetylcholin. Dabei wird der Neurotransmitter durch das Blockieren von speziellen Nervenreizen unterbrochen. Diese spielen eine wichtige Rolle bei der Drüsensekretion sowie der Kontraktion der glatten Muskulatur. So kommt es zum Anregen der Darmtätigkeit sowie der Verdauungsdrüsen. Gleichzeitig werden Atmung und Herzfrequenz reduziert.

Wirkung und medizinische Anwendung

Anticholinergika verfügen über die Wirkung, die glatte Muskulatur im Verdauungstrakt zu entspannen, wodurch auch die Tätigkeit von Magen und Darm gehemmt wird. Außerdem sorgen sie für das Zunehmen der Herzfrequenz. Dieser Umstand lässt sich von der Medizin bei bradykarden (langsamen) Herzrhythmusstörungen ausnutzen.

Durch die Anticholinergika kommt es zum Unterdrücken von Magensaft-, Schweiß- und Speichelbildung. An den Augen machen sich die Anticholinergika durch das Erweitern der Pupillen bemerkbar. Dies nutzen Augenärzte für ihre Zwecke, um den Augenhintergrund zu untersuchen.

Weiterhin eignen sich Anticholinergika zur Therapie von Harninkontinenz, einer überaktiven Blase oder häufigem Wasserlassen. Dabei entfalten sie ihre positive Wirkung durch das Entspannen der glatten Muskulatur. Bei Kindern lassen sich Anticholinergika ebenfalls therapeutisch gegen nächtliches Bettnässen nutzen. So stabilisieren die Parasympatholytika die Harnblase, wodurch die betroffenen Personen die Toilette weniger aufsuchen müssen.

Sinnvoll kann die Anwendung der Wirkstoffe außerdem zur Behandlung von Blickstarre oder Steifheit des Körpers im Rahmen der Parkinson-Krankheit sein. Weitere Anwendungsgebiete sind eine Bronchitis, Asthma bronchiale sowie Krämpfe an der glatten Muskulatur. Außerdem kommen die Anticholinergika im Rahmen von Narkosen vor chirurgischen Eingriffen zur Anwendung.

Formen und Gruppen

Einteilen lassen sich Anticholinergika in verschiedene Wirkstoffgruppen. Dazu gehören u. a. Atropin, Scopolamin, Scopolaminbutylbromid, Metixen, Solifenacin sowie Biperiden. Hauptsächlich zur Anwendung kommen die Anticholinergika zur Behandlung einer überaktiven Harnblase. Dabei werden Wirkstoffe wie Darifenacin, Fesoterodinfumarat, Propiverinhydrochlorid, Oxybutynin, Tolterodin und Trospiumchlorid verabreicht. Gebräuchliche Anticholinergika-Präparate sind Emselex®, Toviaz®, Dridase®, Mictonorm®, Spasmex®, Detrusitol® und Tolterodin Pfizer retard®. Darüber hinaus gelangen die Anticholinergika oftmals auch als Generika auf den Markt.

Dosierung

Die Dosierung von Anticholinergika richtet sich nach dem jeweiligen Präparat und den Beschwerden des Patienten. Atropin kann zum Beispiel in der Notfallmedizin zur Anwendung kommen. Dort liegt die empfohlene Dosis zwischen 0,5 und 1,0 Milligramm. Grundsätzlich ist es wichtig, die Dosierung der Anticholinergika nicht zu hoch ausfallen zu lassen. So drohen bei sehr hohen Dosen Vergiftungserscheinungen. Mediziner bezeichnen dies auch als anticholinerges Syndrom.

Infolgedessen kommt es zu einem weitgehenden Ausschalten des parasympathischen Nervensystems. Dabei leiden die Betroffenen zumeist unter Beschwerden wie Herzrhythmusstörungen, Krampfanfällen, Gedächtnisproblemen, Schlafstörungen sowie Harn- oder Darmverhalt. Im Falle einer Vergiftung mit Anticholinergika muss umgehend Aktivkohle verabreicht werden. Als mögliches Gegenmittel kommt Physostigmin in Betracht. Dieses Präparat ist in der Lage, die Wirkung der Anticholinergika aufzuheben.

Pflanzliche, natürliche und pharmazeutische Alternativen

Die Unterschiede zwischen den pflanzlichen und synthetischen Anticholinergika sind nur gering. Allerdings gibt es stärkere Abweichungen bei der Verträglichkeit der Wirkstoffe. Als Alternative kann dann ein Wechsel des Arzneistoffes sinnvoll sein. In der Medizin wird zwischen neurotropen und muskulotropen Anticholinergika unterschieden. Während die neurotropen Wirkstoffe ihre Effekte auf das Nervensystem entfalten, ist dies bei den muskulotropen Anticholinergika auf die Muskeln der Fall.

Zu den neurotropen Substanzen zählen u. a. die Belladonna-Alkaloide und deren Verwandte. Bekanntester Vertreter dieser Wirkstoffgruppe ist das Atropin. Dieses Alkaloid kommt in der Tollkirsche (Atropa belladonna) vor und dient u. a. zur Therapie von Koliken an den Harn- und Gallenwegen. Mittlerweile wurde das Atropin jedoch weitgehend von dem halbsynthetischen Scopolaminderivat Butylscopolamin verdrängt. Verwandte von Atropin eignen sich, um COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung) zu therapieren. So entfalten sie eine erweiternde Wirkung der Bronchien.

Keine Ähnlichkeiten zu den Belladonna-Alkaloiden weisen Anticholinergika wie Darifenacin, Tolterodin sowie Solifenacin auf. Da sie entspannend wirken, eignen sie sich zur Therapie von Dranginkontinenz oder Harninkontinenz. Eine Alternative stellen neurotrop-muskulotrop wirkende Anticholinergika dar. Sie wirken sich auf die glatte Muskulatur sowohl anticholinerg als auch direkt spasmolytisch aus. Bekannte Vertreter dieser Wirkstoffgruppe sind Propiverin und Oxybutinin. Eingesetzt werden sie zur Behandlung von Harninkontinenz oder einer überaktiven Blase.


Wechselwirkungen und Nebenwirkungen

Durch die Behandlung mit Anticholinergika können unerwünschte Wechselwirkungen und Nebenwirkungen auftreten. So dürfen die Parasympatholytika nicht gemeinsam mit Johanniskraut, Phenobarbital, Phenytoin, Rifampicin oder Carbamazepin verabreicht werden. Durch die Darreichung von Makrolidantibiotika oder Ketoconazol besteht das Risiko eines Anstiegs von aktiven Metaboliten.

Zu den häufigsten Nebeneffekten von Anticholinergika gehört Mundtrockenheit. So leiden etwa 30 Prozent aller Patienten darunter. Grund dafür ist die Hemmung der Speichelherstellung durch die speziellen Arzneimittel. Als weitere typische Nebenwirkungen gelten Harnverhalt, Müdigkeit, Sehstörungen und Verstopfungen.

Selbst in kleinen Dosen können die Parasympatholytika das Herz-Kreislauf-System beeinflussen und zum Beispiel eine Tachykardie (Herzrasen) auslösen. In einzelnen Fällen hat die Anwendung von Anticholinergika Ausschläge auf der Haut, Miktionsbeschwerden, Juckreiz, einen gastroösophagealen Reflux, Lichtempfindlichkeit, erhöhten Augeninnendruck oder eine Hemmung der Schweißsekretion zur Folge.

Quellen

  • Aktories, K. et al.: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, 12. Auflage, Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH, 2017
  • E. Burgis: Allgemeine und spezielle Pharmakologie. 3. Auflage, Elsevier GmbH, München 2005
  • Lüllmann, H. et al.: Pharmakologie und Toxikologie: Arzneimittelwirkungen verstehen - Medikamente gezielt einsetzen. 18. Auflage, Thieme Verlag, Stuttgart 2016

Dieser Artikel wurde unter Maßgabe der aktuellen medizinischen Fachliteratur und fundierter wissenschaftlicher Quellen verfasst.
Qualitätssicherung durch: Dr. med. Nonnenmacher
Letzte Aktualisierung am: 16. November 2021

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