Dissoziative Identitätsstörung (multiple Persönlichkeitsstörung)

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Eine dissoziative Identitätsstörung bezeichnet eine Form der Persönlichkeitsstörung, bei der in einer einzelnen Person unabhängig voneinander zwei oder mehr Persönlichkeiten oder Identitäten vorhanden sind, die abwechselnd die Kontrolle über die Person übernehmen. Die Aufspaltung der eigenen Identität in mehrere Teilidentitäten ist auf schwere Traumata in der frühen Kindheit zurückzuführen.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Menschen mit einer dissoziativen Identitätsstörung weisen mindestens zwei unterschiedliche Persönlichkeiten auf. Meistens können diese von außenstehenden Personen erkannt werden.

Die unterschiedlichen Teilidentitäten im Rahmen einer multiplen Persönlichkeitsstörung sind autonom, sie sind sich der anderen Identitäten nicht bewusst und können sich in ihrem Wesen, Sprache, Geschlecht, Alter, Vorlieben und Verhalten stark voneinander unterscheiden.

Während eine Persönlichkeit die Kontrolle über die Person übernimmt, sind die anderen Persönlichkeiten inaktiv und amnestisch. Das bedeutet, die von der multiplen Persönlichkeitsstörung betroffene Person kann sich nicht an das Erlebte der einen Teilidentität erinnern, wenn die andere Teilidentität die Kontrolle über sie hat. Die dissoziative Identitätsstörung, die Abspaltung und Schaffung verschiedener Teilidentitäten, ist eine Schutzfunktion des Bewusstseins, wenn stark traumatische Erlebnisse anderweitig nicht verarbeitet werden können.

Ursachen

Als Ursachen einer dissoziativen Identitätsstörung gelten schwere Traumata in den ersten fünf Lebensjahren der Betroffenen. Dazu zählen beispielsweise sexueller Missbrauch, schwere Vernachlässigung, Tod eines nahen Angehörigen oder andere traumatische Erlebnisse. Je jünger das Kind zum Zeitpunkt des Traumas war, umso mehr steigt die Wahrscheinlichkeit der Aufspaltung der eigenen Persönlichkeit in verschiedene Teil-Persönlichkeiten.

Das Kind spaltet seine Persönlichkeit als Schutzreaktion in Teilidentitäten auf, indem es die abgespaltene Teilidentität die schwer auszuhaltenden Ereignisse durchleben lässt und selbst scheinbar nur unbeteiligt zuschaut. Dieser Vorgang ist vergleichbar mit einem Verlassen des Körpers. Nur so kann die Psyche des Kindes diese belastenden Ereignisse aushalten. Die verschiedenen Teilidentitäten sind oft mit bestimmten Ereignissen verbunden und kommen wieder zum Vorschein, sobald sich eine ähnliche Situation wiederholt.

Wann zum Arzt?

Ein Arzt ist aufzusuchen, sobald sich auffällige Verhaltensänderungen zeigen. Werden Regeln und Normen nicht eingehalten oder tun die Betroffene genau das Gegenteil von dem, was Autoritäten und Vorgesetzte ihnen sagen, müssen sie einem Arzt vorgestellt werden. Häufig fehlt bei einer dissoziativen Identitätsstörung die Krankheitseinsicht und der Betroffene selbst sieht keinen Grund, einen Arzt zu konsultieren. Dies ist ein Begleitsymptom der Erkrankung. In diesen Fällen sind Fingerspitzengefühl und die Mithilfe naher Angehöriger gefragt. Besteht eine Gefahr für Leib und Leben, kann auch jederzeit ein behördlicher Weg eingeschlagen werden.

Die Persönlichkeitsstörung kann auf verschiedene Weise auftreten. Weitere Auffälligkeiten wie Alkoholkonsum, der Verlust der Realität, spontaner Partner- oder Berufswechsel, exzessives Auftreten oder der Konsum von Drogen sind möglich. Stimmungsschwankungen, Launenhaftigkeit und das Fehlen eines Verantwortungsgefühls sind häufig vorhanden. Alle Symptome geben Anlass zur Sorge und sollten näher untersucht werden.

Erlebt der Betroffene einen schweren Schicksalsschlag, erleidet er ein Trauma oder sind Hirnverletzungen vorhanden, muss ein Arzt hinzugezogen werden. Die Folgen der Ereignisse können zu einer Identitätsstörung führen und sollten rechtzeitig erkannt und therapiert werden. Bei Gedächtnislücken oder dem Fehlen von Erinnerungen über mehrere Tage oder Wochen, sind Untersuchungen notwendig, die sich mit der Ursache der Beschwerden beschäftigen.

Symptome und Verlauf

Typische Symptome einer dissoziativen Identitätsstörung:

Alle unter einer dissoziativen Identitätsstörung leidenden Personen verfügen über mindestens zwei voneinander abgegrenzte und unterscheidbare Persönlichkeiten, die nicht gleichzeitig auftreten und auch keinen Kontakt untereinander haben. In der Regel sind es zwischen zwei und zehn Teilidentitäten. Teilweise sind die unterschiedlichen Persönlichkeiten und Identitätswechsel auch von Auβenstehenden klar erkennbar.

Dazu kommen noch weitere Begleitsymptome wie Albträume, Schlaf-, Ess- und Verhaltensstörungen, Depressionen, Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenabhängigkeit sowie Suizidneigung. Alle Symptome zusammengenommen ergeben das Krankheitsbild einer posttraumatischen Belastungsstörung mit unterschiedlichen psychosomatischen Beschwerden.

Ein weiteres Symptom für eine dissoziative Identitätsstörung ist eine Teilamnesie. Meist weiβ der Betroffene nicht, dass er unter einer multiplen Persönlichkeit leidet. Die Identitätswechsel erfolgen von ihm unbemerkt und während eine Persönlichkeit die Kontrolle über die Person übernimmt, kann sich die andere Persönlichkeit später nicht an deren Handlungen erinnern. Dies kann dazu führen, dass der Betroffene ihm bekannte Menschen nicht erkennt, nicht weiβ, wie er an einen bestimmten Ort gelangt ist und sich auch nicht an Handlungen erinnern kann, die die jeweils andere Persönlichkeit vorgenommen hat.

Diagnose

Die multiple Persönlichkeitsstörung wird meist erst im Erwachsenenalter des Betroffenen diagnostiziert. Es kann im Verlauf bis zum Erwachsenenalter zu Schwankungen und phasenweiser Symptomatik kommen. Wird die dissoziative Identitätsstörung nicht behandelt, kann sie einen chronischen Verlauf nehmen.

Die dissoziative Identitätsstörung zeigt Symptome, die auch bei anderen psychischen Erkrankungen wie Borderline oder Schizophrenie vorkommen können. Aus diesem Grund wird eine multiple Persönlichkeitsstörung meist erst diagnostiziert, wenn andere psychische Erkrankungen ausgeschlossen wurden. Die Diagnosestellung erfolgt nach einem festgelegten Kriterienkatalog. Teilamnesien, gestörte Wahrnehmung, Stimmenhören, sowie von der eigenen Person abgespaltenes Denken, Fühlen und Handeln sind wichtige Hinweise auf eine dissoziative Identitätsstörung.

Komplikationen

Neben der eigentlichen Krankheit entwickeln sich bei Personen, die an einer dissoziativen Identitätsstörung (DIS) leiden, häufig weitere psychische Erkrankungen. Körperliche Symptome sind ebenfalls möglich. Zu den typischen Beschwerden gehören Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, neurologische Symptome und Atemstörungen.

Die DIS führt häufig zu einer extremen Neigung, wenn es um die Inanspruchnahme von medizinischer Hilfe geht. Viele Multiple meiden Ärzte weitestgehend – aufgrund von Ängsten oder traumatischen Erfahrungen. Andere suchen jedoch gezielt nach der Fürsorge, die sie von Gesundheitsdienstleistern erhalten.

Die Behandlung der dissoziativen Identitätsstörung ist sehr komplex und langwierig. Während der Therapie – aber auch ohne Behandlung – können sogenannte „Programme“ getriggert werden. Diese Gefahr besteht insbesondere bei Multiplen, deren Störung auf gezielte Misshandlung und Missbrauch in einem Kult, einer Sekte oder durch organisierte Verbrecher zurückgeht.

Ein „Programm“ ist vom Täter antrainiertes Verhalten. Ein solches „Programm“ kann den Betroffenen zum Beispiel zu einem Suizidversuch veranlassen, sobald bestimmte Themen angesprochen werden oder sich der Multiple an Täter erinnert. Im Rahmen der Therapie können diese „Programme“ gelöscht werden; sie stellen jedoch eine potenzielle Gefahr dar.

Während und vor der Behandlung der Traumata kann es zudem zu einer Retraumatisierung kommen, wenn der Betroffene ein Trauma spontan wiedererlebt und nicht im Rahmen einer geleiteten Exposition bearbeitet.

Behandlung und Therapie

Die Therapie der dissoziativen Identitätsstörung erfolgt ambulant oder stationär durch ausgebildete Traumatherapeuten. Zunächst baut der Therapeut eine vertrauensvolle Beziehung zu dem Patienten auf. Dies ist ganz besonders wichtig, da die Betroffenen seit ihrer frühesten Kindheit massive Gewalt oder Missbrauch von nahestehenden Personen erfahren haben, wodurch sie im Rahmen der multiplen Persönlichkeitsstörung auch unter ausgeprägten Beziehungsstörungen leiden.

Langsam werden die Betroffenen mit der Diagnose der dissoziativen Persönlichkeitsstörung vertraut gemacht und können sich im Laufe der Therapie ihre Alltagsprobleme, die teilweise Amnesie und andere Symptome erklären. In der Therapie wird versucht, gleichsam Betroffene zusammenzubringen. Der gegenseitige Austausch in Gesprächskreisen stabilisiert und unterstützt die Betroffenen bei der Bewältigung unterschiedlicher Problemstellungen.

Sind die Betroffenen psychisch stabilisiert, wird versucht, die unterschiedlichen Teilidentitäten (Alters) mit der Hauptpersönlichkeit (Host) zusammenzuführen. In der letzten Phase der Traumatherapie steht die Traumaverarbeitung im Mittelpunkt. Die Therapie der dissoziativen Identitätsstörung kann sich über mehrere Jahre hinziehen. Das Ziel der Therapie ist die Traumabewältigung, die Zusammenführung der einzelnen Teilidentitäten und die Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen. Die Traumatherapie kann medikamentös mit Antidepressiva unterstützt werden.


Vorbeugung

Der dissoziative Identitätsstörung, diese Aufspaltung der Persönlichkeit in mehrere Teilpersönlichkeiten kann nicht vorgebeugt werden, da deren Ursache in einer schweren Traumatisierung in frühester Kindheit liegt. Jedoch kann man die Betroffenen unterstützen, sich so früh wie möglich einer therapeutischen Behandlung zu unterziehen, damit sich die dissoziative Identitätsstörung nicht manifestiert und chronisch wird.

Quellen

  • Payk, T.: Checkliste Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Dilling, H. & Freyberger, H.J.: Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen, Huber Verlag, 6. Auflage 2012
  • Bergner, T. M. H.: Burnout-Prävention. Schattauer, Stuttgart 2012
  • Tölle, R., Windgassen, K.: Psychiatrie. Springer, Berlin 2014

Dieser Artikel wurde unter Maßgabe der aktuellen medizinischen Fachliteratur und fundierter wissenschaftlicher Quellen verfasst.
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