Dissoziale Persönlichkeitsstörung und Psychopathie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Rund drei Prozent der Männer und ein Prozent der Frauen weisen Statistiken zufolge eine dissoziale Persönlichkeitsstörung auf, wobei die Psychopathie eine besonders schwere Ausprägung derselben darstellt. Die Behandlung dieser Störung gilt als schwierig, weil mangelndes Schuldbewusstsein eines der Symptome ist. Die Therapie findet meist im Rahmen des Maßregelvollzugs statt, da viele Betroffene straffällig werden.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Die Behandlung einer dissozialen Persönlichkeitsstörung und Psychopathie ist schwierig und nahezu unmöglich. Eine Therapie kann dennoch helfen, die sozialen Kompetenzen zu fördern.

Die dissoziale Persönlichkeitsstörung ist charakterisiert durch Missachtung sozialer Normen, mangelnde Empathie, Rücksichtslosigkeit, kein oder geringes Schuldbewusstsein sowie die Unfähigkeit, sozial zu lernen. Eine geringe Frustrationstoleranz und impulsiv-aggressives Verhalten sind ferner Ursachen dafür, warum Betroffene häufig mit dem Gesetz in Konflikt geraten.

Jedoch sind dissoziale Persönlichkeiten gut in der Lage, Gefühle anderer einzuschätzen und diese zu instrumentalisieren. In der Psychiatrie wird zwischen instrumentell-dissozialem, impulsiv-feindseligem und ängstlich-aggressivem Verhalten unterschieden. Während bei Patienten mit dissozialer Persönlichkeitsstörung das antisoziale Verhalten charakteristisch ist, so weisen Psychopathen als eine Untergruppe zusätzlich bestimmte Persönlichkeitszüge auf, die wiederum mit dem instrumentell-dissozialem Subtyp assoziiert werden.

Ursachen

Wie bei anderen psychischen Erkrankungen geht man bei der dissozialen Persönlichkeitsstörung von einer Kombination aus genetischen und Umweltfaktoren als Auslöser aus. Festgestellt wurde, dass Betroffene häufig aus problematischen Elternhäusern stammen, in denen Vernachlässigung, mangelnde Zuwendung, Gewalt, Suchtstrukturen, Missbrauch und impulsives Verhalten eine Rolle spielen und soziales Verhalten nicht belohnt wird.

Offenbar beeinflussen solche frühkindlichen Erfahrungen die Funktionsweise des Gehirns unmittelbar, so dass gravierende Dysfunktionen und Fehlsteuerungen entstehen. Anhand von Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass zum Beispiel Psychopathen als eine Unterform der dissozialen Persönlichkeiten in der orbifrontalen und präfrontalen Großhirnrinde, in der Amygdala und im Hippocampus Veränderungen aufweisen. Diese Hirnregionen betreffen soziale Lernfunktionen, das soziale Normverständnis, die Angst-Konditionierung und die Affekt-Regulierung.

Außerdem konnte gemessen werden, dass Betroffene einen erhöhten Dopamin- und Serotonin-Spiegel haben, womit stärkere aggressive Impulse in Verbindung gebracht werden. Aufgrund der hohen Zahl an traumatisierten Betroffenen wenden Kritiker ein, dass die dissoziale Persönlichkeitsstörung eine Reaktion auf eine unmittelbare Lebenswirklichkeit und somit kein Krankheitsbild ist.

Wann zum Arzt?

Menschen, die sich in einem auffallenden Umfang nicht an vorgegebene Regeln und Normen halten, sollten ärztlich untersucht werden. Dazu zählen die Verletzung von gesetzlichen Vorschriften, aber auch zwischenmenschliche Konventionen und Absprachen des täglichen Lebens. Sobald es zu bewussten emotionalen Verletzungen anderer Mitmenschen und dem Fehlen von Zuverlässigkeit oder Verantwortungsgefühl kommt, sollte ein Arzt konsultiert werden.

Oftmals mangelt es dem Betroffenen an Krankheitseinsicht. Er erlebt zwar ein Unwohlsein, versteht aber die Besorgnis seiner Mitmenschen häufig nicht. Daher sind die nahen Angehörigen und das soziale Umfeld oftmals in der Pflicht, mit größter Vorsicht auf den Betroffenen einzuwirken. Sobald der Betroffene eine Gefahr für sich selbst und andere darstellt, kann ein Gesetzesvertreter gerufen werden, der weitere Maßnahmen einleitet und einen Arzt hinzuzieht. Bei einer Persönlichkeitsstörung können große Erinnerungslücken auftreten.

Das Verhalten wird von der Umwelt als sehr exzessiv wahrgenommen. Wutanfälle, Aggressivität, Schlafmangel oder ein fehlender Realitätsbezug sind häufige Symptome, bei denen unverzüglich ein Arzt aufgesucht werden sollte. Kommt es nach einem Schicksalsschlag, dem Erleben eines traumatischen Ereignisses oder einer Hirnverletzung zu auffallenden Änderungen der Persönlichkeit, sollte ein Arzt konsultiert werden. Plötzlicher wie auch ein schleichender Wandel des Auftretens und Verhaltens des Betroffenen müssen untersucht und behandelt werden.

Symptome und Verlauf

Je nach Subtyp der dissozialen Persönlichkeitsstörung äußern sich Symptome und Verlauf unterschiedlich. Betroffene mit instrumentell-dissozialem Verhalten zielen auf Macht und materielle Güter ab und sind sehr selbstbewusst. Mangelnde Empathie und Schuldbewusstsein sowie Charme und oberflächliche Gefühle sind der Grund dafür, warum sie im Berufsleben oft erfolgreich sind.

Betroffene mit impulsiv-feindseligen Verhaltensmerkmalen hingegen werden viel häufiger straffällig, da ihr Gefühlsleben von Wut und Ärger geprägt ist und sie sich schnell bedroht fühlen. Eine geringe Frustrationstoleranz in Verbindung mit impulsivem Handeln bringt sie oft mit dem Gesetz in Konflikt.

Der dritte Subtyp ist geprägt durch eine Verbindung von ängstlichem und aggressivem Verhalten, dem meistens Traumata zugrunde liegen. Obwohl ansonsten zurückhaltend, können Menschen diesen Subtyps der dissozialen Persönlichkeitsstörung in extremen Situationen zu überbordenden Gewaltausbrüchen neigen.

Diagnose

Um die Diagnose dissoziale Persönlichkeitsstörung zu stellen, müssen eindeutige Kriterien erfüllt sein. Der ICD-10 der WHO („International Code of Diseases“) listet folgende Merkmale auf, wobei mindestens drei erfüllt sein müssen, um von einer solchen Störung sprechen zu können: Mangelndes Mitgefühl, Bindungsstörung bzw. Beziehungsschwäche; kaum Schuldbewusstsein, auch auf Bestrafungen hin erfolgt kein soziales Lernen, vielmehr wird das eigene Verhalten entschuldigt und andere werden beschuldigt; Missachtung sozialer Normen; Reizbarkeit, die anhält, geringe Frustrationstoleranz und impulsiv-aggressives Verhalten.

Während das DSM-IV (“Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders” der American Psychiatric Association) klar betont, das von einer dissozialen Persönlichkeitsstörung (resp. von einer „antisozialen Persönlichkeitsstörung“) erst ab dem 18. Lebensjahr gesprochen werden kann, schreibt der ICD-10 kein Mindestalter vor.

Komplikationen

Bei einer dissozialen Persönlichkeitsstörung treten sehr häufig intensive Probleme innerhalb des sozialen Umfeldes auf. Der Umgang miteinander ist erschwert und meist sind nahe Angehörige mit den Symptomen des Erkrankten überfordert. Da Absprachen nicht eingehalten werden und deutliche Verhaltensauffälligkeiten vorhanden sind, leiden Familienangehörige, Freunde und Bekannte unter der Situation. Emotionale Verletzungen treten wiederholt und anhaltend in einer starken Intensität auf. Regelmäßig kommt zu es einer Missachtung aufgestellter Regeln und gesellschaftlich anerkannter Normen.

In vielen Fällen benötigen die Angehörigen eines Menschen, der an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung erkrankt ist selbst Hilfe. Die Erfüllung ihrer eigenen Bedürfnisse wird meist vernachlässigt. Es kommt zu einer Vernachlässigung eigener sozialer Aktivitäten.

Ein Erkrankter kann den Ansprüchen eines geregelten Arbeitslebens aufgrund seiner Beschwerden nicht im gewünschten Maß erfüllen. Er ist auf die Toleranz und das Verständnis seines Umfeldes angewiesen. Es kann zu weiteren Problemen, wie den Verlust des Arbeitsplatzes, des Partners oder finanziellen Problemen kommen.

Darüber hinaus sind weitere psychische Störungen möglich. Depressionen, manisches Verhalten oder selbst- sowie fremdgefährdende Tendenzen sind möglich. Es ist damit zu rechnen, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, eine selbstständige Lebensführung zu gewährleisten. Ein Entzug der Geschäftsfähigkeit ist möglich und wird bei vielen Erkrankten angewendet.

Behandlung und Therapie

Wie bei anderen Persönlichkeitsstörungen zielt die Behandlung der dissozialen Persönlichkeit nicht auf Heilung ab (die nicht möglich ist), sondern auf psychotherapeutische (v.a. kognitive Verhaltenstherapie) und soziotherapeutische Konzepte, die die sozialen Kompetenzen verbessern sollen. Betroffene sollen/müssen Techniken erlernen, die es ihnen ermöglichen, innerhalb einer sozialen Gemeinschaft so zu handeln, dass weder andere noch sie selbst Leidensdruck unterworfen sind.

Psychotherapie und Soziotherapie sind das erste Mittel der Wahl, wobei aber insbesondere bei der Psychopathie diskutiert wird, ob eine Behandlung überhaupt Sinn ergibt, da die Rückfallquote hoch ist. Problematisch ist, dass sich Betroffene aufgrund ihres mangelnden Schuldbewusstseins meist nicht freiwillig in Behandlung begeben, sondern diese oft auf Druck hin erfolgt, wenn die Patienten straffällig geworden sind oder etwa Partner und Familie darauf bestehen.

Je nach Symptomen erfolgt auch eine medikamentöse Behandlung (Antidepressiva, Neuroleptika oder Stimmungsstabilisatoren), um etwa ungezügelten Impulsausbrüchen oder einer depressiven Symptomatik entgegenzuwirken. Vorrangig wird aber versucht, eine gute und tragfähige Beziehung zwischen Therapeut und Patient herzustellen.

Aufgrund der Problemlage bei der dissozialen Persönlichkeitsstörung, die u.a. durch mangelndes Schuldbewusstsein und Manipulation von anderen charakterisiert ist, ist dies aber schwierig, so dass diese Störung generell als schwer behandelbar bzw. sehr behandlungsintensiv gilt.

Scheitert der Versuch, ein therapeutisches Verhältnis zum Patienten herzustellen, muss die Therapie abgebrochen werden. Die dissoziale Persönlichkeitsstörung stellt innerhalb von psychiatrischen Konzepten daher eine besondere Herausforderung dar, die oft eine Behandlung über sehr viele Jahre hinweg notwendig macht, wenn überhaupt maßgebliche Erfolge erzielt werden können.


Vorbeugung

Es ist schwierig, der Entwicklung einer dissozialen Persönlichkeitsstörung vorzubeugen, da diese in den meisten Fällen mit einem problembehafteten Elternhaus in der frühkindlichen Phase verbunden ist. Der sozialen und neurobiologischen Konditionierung, die durch Traumata und andere schwerwiegende Eingriffe in die kindliche Seele entsteht, ist sehr schwer zu begegnen.

Präventivmaßnahmen sind fast nicht durchführbar. Jedoch ist es angebracht, zum Beispiel Erzieher in Kindergarten und Schule für die Problematik so zu sensibilisieren, dass eine solche Fehlentwicklung möglichst früh entdeckt wird.

Quellen

  • Payk, T.: Checkliste Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Dilling, H. & Freyberger, H.J.: Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen, Huber Verlag, 6. Auflage 2012
  • Bergner, T. M. H.: Burnout-Prävention. Schattauer, Stuttgart 2012
  • Tölle, R., Windgassen, K.: Psychiatrie. Springer, Berlin 2014

Dieser Artikel wurde unter Maßgabe der aktuellen medizinischen Fachliteratur und fundierter wissenschaftlicher Quellen verfasst.
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Letzte Aktualisierung am: 15. November 2021

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