Fragiles-X-Syndrom (Martin-Bell-Syndrom)

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Das Fragile-X-Syndrom (Martin-Bell-Syndrom) ist neben dem Down-Syndrom (Trisomie 21) die weltweit am häufigsten auftretende Erbkrankheit, die zu geistigen Behinderungen führt. 1943 wurde die Erkrankung zum ersten Mal durch den britischen Arzt James Martin und die Humangenetikerin Julia Bell beschrieben und wird deshalb auch als Martin-Bell-Syndrom bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Was ist das Fragile-X-Syndrom?

Beim Fragilen-X-Syndrom (Martin-Bell-Syndrom) handelt es sich um eine Entwicklungsstörung, die durch eine genetische Veränderung (Mutation) verursacht wird. Sie tritt bei Jungen häufiger auf als bei Mädchen. Betroffene Frauen zeigen in der Regel auch weniger stark ausgeprägte (oder gar keine) Symptome.

Der Name „Fragiles-X-Syndrom“ leitet sich von einer Unregelmäßigkeit im X-Chromosom ab. Dort ist bei mikroskopischer Betrachtung eine bestimmte, zerbrechliche (=fragile) Stelle nachweisbar. Das Fragile-X-Syndrom geht mit einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Intelligenzminderung einher, die von geringfügigen Lernschwierigkeiten bis hin zu schweren geistigen Behinderungen reichen kann.

Ursachen

Die Ursache des Fragilen-X-Syndroms (Martin-Bell-Syndroms) ist ein vererbter genetischer Defekt. Das Erbgut jedes Menschen besteht aus 46 Chromosomen, von denen 23 vom Vater und 23 von der Mutter stammen. Das 23. Chromosomenpaar legt das Geschlecht fest (Geschlechtschromosomen) und besteht beim Mann aus einem X- und einem Y-Chromosom, bei der Frau aus zwei X-Chromsomen.

Über Generationen hinweg kann sich im X-Chromosom über eine sogenannte „Prämutation“ hinweg (ohne Krankheitssymptome) die „Vollmutation“ entwickeln. Diese genetische Mutation bewirkt, dass ein Gen ausfällt. Dieses Gen ist verantwortlich für die Produktion eines bestimmten Proteins, des FMR1-Proteins. Bei Patienten mit Fragilem-X-Syndrom wird also kein FMR1-Protein mehr gebildet.

FMR1 ist am Stoffwechsel der Neurotransmitter im Gehirn beteiligt. Ein Mangel führt zu einer Rückbildung der neuronalen Verbindungen und damit zu einer geistigen Beeinträchtigung der Betroffenen. Forscher untersuchen momentan weitere Funktionen dieses Proteins, die zu den weiteren typischen Symptomen des Fragilen-X-Syndroms führen.

Symptome und Verlauf

Typische Symptome des Fragilen-X-Syndroms:

  • Intelligenzminderung
  • Lernschwierigkeiten

Leitsymptom bei Fragilem-X-Syndrom (Martin-Bell-Syndrom) ist eine unterschiedlich stark ausgeprägte Intelligenzminderung. Alle anderen Symptome treten nur bei einem Teil der Patienten auf, das heißt nicht jeder Betroffene zeigt alle Symptome. Optisch sind häufig typische Merkmale vorhanden: Ein schmales Gesicht mit langem, hervorstehendem Kinn und große, abstehende Ohren. Je älter die Betroffenen sind, desto stärker treten die Gesichtsmerkmale hervor. Etwa 12 Prozent der betroffenen Kinder sind Autisten, 20 Prozent bekommen epileptische Krampfanfälle. Bei Männern tritt im Großteil der Fälle (ca. 80 Prozent) eine Hodenvergrößerung auf. Beim Fragilen-X-Syndrom liegen außerdem häufig übermäßig lockere Bänder, überstreckbare Gelenke, Plattfüße und eine Skoliose (Verkrümmung der Wirbelsäule) vor.

Auch Verhaltensauffälligkeiten wie Hyperaktivität und das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zählen zu den Symptomen bei Fragilem-X-Syndrom. Kinder mit Fragilem-X-Syndrom entwickeln sich mehr oder weniger verzögert. Sie laufen später und haben meist Defizite in der Sprachentwicklung. Weitere Folgen der Erkrankung hängen vom Schweregrad der geistigen Beeinträchtigung ab. Die Lebenserwartung ist bei Patienten mit Fragilem-X-Syndrom jedoch nicht vermindert.

Diagnose

Die Diagnose „Fragiles-X-Syndrom“ oder "Martin-Bell-Syndrom" lässt sich zweifelsfrei nur mit einer humangenetischen DNA-Analyse stellen. Wenn die oben genannten Symptome einen Verdacht auf die Erkrankung liefern, vor allem wenn Kinder eine intellektuelle Leistungsschwäche unbekannter Ursache zeigen, werden die Chromosomen auf eine Veränderung des X-Chromosoms untersucht.

Dafür reicht eine einfache Blutprobe. Ist eine familiäre Disposition für das Fragile-X-Syndrom bekannt, kann auch eine pränatale (vorgeburtliche) Untersuchung bei einer Schwangeren durchgeführt werden. Ein Nachweis ist beim ungeborenen Kind durch Entnahme von Chorionzottengewebe oder durch eine Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) möglich.

Komplikationen

Durch das Martin-Bell-Syndrom kommt es bei den Betroffenen vor allem zu einer starken geistigen Retardierung und zu weiteren psychomotorischen Einschränkungen. Die Lebensqualität der Betroffenen wird durch das Syndrom deutlich verringert. In den meisten Fällen sind auch die Eltern und Angehörigen der Patienten vom Martin-Bell-Syndrom betroffen, sodass es zu psychischen Beschwerden oder weiterhin zu Depressionen kommt. Nicht selten können die Patienten ihren Alltag nicht alleine meistern und benötigen dabei Unterstützung. Die Betroffenen leiden dabei an epileptischen Anfällen und können ebenso degressiv sein. Weiterhin sind Wachstum und Entwicklung der Kinder deutlich gestört, sodass es vor allem im Kindesalter zu Mobbing oder zu Hänseleien kommen kann.

Auch das Aussehen der Patienten ist deutlich verändert, sodass es zu abstehenden Ohren oder zu einem sehr langen Gesicht kommt. Weiterhin ist auch die Konzentration der Patienten in der Regel verringert, sodass es zu Defiziten der Aufmerksamkeit kommt. Eine kausale Behandlung des Martin-Bell-Syndroms ist nicht möglich. Die Beschwerde können allerdings mit Hilfe von Therapien und operativen Eingriffen eingeschränkt werden. In der Regel ist die Lebenserwartung der Patienten durch das Syndrom nicht verringert. Bei der Behandlung kommt es nicht zu weiteren Komplikationen.

Behandlung und Therapie

Eine kausale Therapie ist beim Fragilen-X-Syndrom (Martin-Bell-Syndrom) nicht möglich, da die Krankheit genetisch bedingt ist. Klinische Studien mit Wirkstoffen, die den gestörten Stoffwechsel bei Patienten mit Fragilem-X-Syndrom positiv beeinflussen sollen, werden durchgeführt. Bisher stehen jedoch noch keine Therapeutika zur Verfügung. Durch geeignete Maßnahmen der Früh- und Weiterförderung lassen sich jedoch Entwicklungsvorgänge unterstützen und Defizite verbessern.

Die Krankengymnastik hilft Patienten mit Fragilem-X-Syndrom, die orthopädische oder psychomotorische Bewegungseinschränkungen haben. Die Ergotherapie kann dabei helfen, die Handlungsfähigkeit im Alltag zu trainieren. Ziel ist eine Verbesserung eingeschränkter Funktionen von Körper und Geist. Viele Kinder mit Fragilem-X-Syndrom haben Probleme bei der Sprachentwicklung. Logopäden unterstützen betroffene Eltern und Kinder durch eine Beratung und Therapie in allen Bereichen, die die Stimme, das Sprechen, Sprachstörungen oder auch Störungen beim Schlucken betreffen.

Bei Menschen, die unter dem Fragilen-X-Syndrom leiden, kann auch die Hörwahrnehmung verändert sein. Hier greift die Tomatis-Therapie an, die den Hörsinn, den Gleichgewichtssinn und die Wahrnehmung trainiert. In einigen Fällen kann auch das therapeutische Reiten eine Verbesserung bringen. Neben der Förderung von Körperwahrnehmung und Sensorik, werden auch Ängste abgebaut, das Selbstbewusstsein aufgebaut und eine emotionale Nähe zum Tier hergestellt.


Vorbeugung

Das Fragile-X-Syndrom (Martin-Bell-Syndrom) ist eine genetische, vererbbare Erkrankung. Eine Vorbeugung ist deshalb nicht möglich. Sollte aber bekannt sein, dass im engen Familienkreis bereits ein Fragiles-X-Syndrom aufgetreten ist, oder wenn jemand selber betroffen ist, sollte dieses Wissen in die Familienplanung mit einbezogen werden. Schwangere oder Paare, die Kinder planen, können hierzu eine genetische Beratung in Anspruch nehmen.

Quellen

  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Mattle, H., Mumenthaler, M.: Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Siegenthaler, W. (Hrsg.): Siegenthalers Differenzialdiagnose Innere Krankheiten – vom Symptom zur Diagnose. Thieme, Stuttgart 2005
  • Bewermeyer, H.: Neurologische Differenzialdiagnostik, Schattauer Verlag, 2011

Dieser Artikel wurde unter Maßgabe der aktuellen medizinischen Fachliteratur und fundierter wissenschaftlicher Quellen verfasst.
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Letzte Aktualisierung am: 15. November 2021

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