Dyskalkulie

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Dyskalkulie bezeichnet Schwierigkeiten beim Lernen oder Verstehen arithmetischer Aufgabenstellungen, wie das Verständnis von Zahlen, beim Rechnen oder dem Erlernen mathematischer Fakten. Von der allgemein als Entwicklungsstörung aufgefassten Dyskalkulie sind etwa 3 - 6 % der Bevölkerung betroffen, wobei ein Viertel der rechenschwachen Kinder gleichzeitig die Symptome von ADHS aufweist.

Inhaltsverzeichnis

Was sind Dyskalkulie?

Kinder mit Dyskalkulie haben große Schwierigkeiten im Mathematikunterricht in der Schule. Ein grundlegendes Verständnis von Zahlen und Mengen muss zunächst aufgebaut werden.

Der Begriff Dyskalkulie ist dem Griechischen (dys/schlecht) und dem Lateinischen (calculare/zählen) entlehnt. Die Störung wurde über Fallstudien mit Patienten, die bestimmte arithmetische Behinderungen als Folge von Schäden an bestimmten Gehirnregionen erlitten hatten, identifiziert.

Häufiger jedoch tritt Dyskalkulie als offensichtlich genetisch bedingte Lernbehinderung auf, die die intuitive Fähigkeit einer Person, Zahlen zu verstehen oder zu verwenden, beeinträchtigt. Dyskalkulie kann bei Menschen aus dem gesamten IQ-Spektrum auftreten, die Verständnisschwierigkeiten von Zeit, Messung und räumlichem Denken aufweisen.

Ursachen

Im Gegensatz zur Legasthenie ist noch sehr wenig über Prävalenz und Ursachen von Dyskalkulie bekannt. Tritt Dyskalkulie als Ergebnis von Hirnverletzungen auf, wird in der Regel der Begriff „acalculia“ verwendet, um eine Unterscheidung zur angeborenen, genetisch bedingten oder aufgrund von Entwicklungsstörungen ausgeprägten Dyskalkulie zu treffen.

Generell konnte bislang keine abschließende Definition der Ursachen gefunden werden. So geht die Neurologie von Läsionen an den Scheitellappen des Gehirns aus, andere Forscher vermuten Defizite im Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis.

Ein größeres Risiko für Dyskalkulie scheint es möglicherweise bei Personen mit dem Turner-Syndrom, dem Velocardiofacial Syndrom, dem Williams-Syndrom, einem fötalen Alkoholsyndrom oder einem niedrigen Geburtsgewicht zu geben. Gleichzeitig können visuell-räumliche Schwierigkeiten, mit Problemen der Verarbeitung des Gesehenen sowie sprachliche Beeinträchtigungen mit Problemen der Verarbeitung von Gehörtem eine Dyskalkulie befördern.

Wann zum Arzt?

Anzeichen einer Dyskalkulie lassen sich oft schon im Kindergartenalter erkennen - etwa, wenn ein Kind Probleme beim Zählen, beim Erkennen von Mengen oder beim Zuordnen von Zahlen zu Bildern hat. Bereits bei derart frühen Anzeichen sollten Eltern über den Kinderarzt eine Abklärung herbeiführen. Nach einer eingehenden Anamnese wird der Kinderarzt feststellen können, ob eine nähere Diagnostik angezeigt ist.

Sollte das der Fall sein, sollte das Kind einem Kinder- und Jugendpsychiater vorgestellt werden. In Zusammenarbeit mit ausgebildeten Psychologen wird in umfangreichen Tests eine Dyskalkulie festgestellt und ein Therapiekonzept entwickelt. Nach der Diagnose übernehmen speziell zugelassene pädagogische Institute - seltener auch Ergotherapeuten oder Logopäden - eine gezielte Therapie.

Dyskakulie wird oftmals erst mit Eintritt in die Schule bemerkt; mitunter auch erst in späteren Klassen. In solchen Fällen ist es begleitend ratsam, das Kind einem Kinderpsychologen vorzustellen - oftmals haben sich aus den Schulproblemen bereits weitere Störungen bei dem Kind entwickelt, etwa ein Selbstwertproblem aufgrund starker Hänseleien durch Mitschüler.

Schlechte Leistungen in Mathematik sind - insbesondere wenn das allgemeine Leistungsniveau des Schülers eher unterdurchschnittlich ist, der Leistungseinbruch temporär oder mit dem Eintritt der Pubertät in Zusammenhang gebracht werden kann - indes kein Indiz für das Vorliegen einer Dyskalkulie. In diesen Fällen muss kein Arzt aufgesucht zu werden.

Symptome und Verlauf

Typische Symptome der Dyskalkulie betreffen abgesehen von einer grundlegenden Unfähigkeit des Verständisses des Konzeptes „Zahl“ zahlreiche darauf aufbauende Fähigkeiten. So ergeben sich Schwierigkeiten beim Lernen und Abrufen von abstrakten Rechenregeln und Verfahren sowie der Anwendung von Zahlen mit Nullen. Desweiteren haben von Dyskalkulie Betroffene oft Schwierigkeiten im Umgang mit Geld oder analogen Uhren, dem Schätzen von Werten und Probleme mit Begriffen wie Geschwindigkeit oder Temperatur. Symptomatisch sind Schwierigkeiten bei der räumlichen Orientierung in bestimmte Richtungen oder beim Kartenlesen. Dyskalkulie umfasst teilweise eine Überempfindlichkeit gegen Lärm, Geruch, Licht und die Unfähigkeit, unerwünschte Informationen oder Eindrücke zu filtern.

Diagnose

Diagnoseverfahren für Dyskalkulie beurteilen das numerische Potential unabhängig von den kognitiven Fähigkeiten in anderen Bereichen und setzen prioritär auf einen Vergleich zu objektiven Anforderungen. Dazu sind verschiedene Dyskalkulie Screener und Testverfahren erprobt. Mit Blick auf die anzustrebende individuelle Therapie wurde in Deutschland das Testverfahren QUADRIGA (Qualitative Diagnostik Rechenschwierigkeiten im Grundlagenbereich Arithmetik) entwickelt. Dieses greift auf Basis der Interview-Methode „Lautes Denken“ auf einen Pool von 42 Fragestellungen verschiedener mathematischer Themenkomplexe zu, um die Rechenschwächen differenziert auszuwerten und eine geeignete Behandlung der Dyskalkulie zu ermöglichen.

Komplikationen

Dyskalkulie kann von anderen psychischen und Verhaltensstörungen begleitet sein. Menschen mit Rechenschwäche leiden überdurchschnittlich oft auch an einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie). ADHS ist ebenfalls eine mögliche Komorbidität. Darüber hinaus treten subklinische Ängste und klinische Angststörungen bei ihnen öfter auf als bei Kindern ohne Dyskalkulie.

Die Angst kann sich zu einer Schulangst steigern. Auch eine soziale Phobie, generalisierte Angststörung oder Agoraphobie ist möglich. Die Ängste manifestieren sich möglicherweise auch in körperlichen Komplikationen. Bauchschmerzen, Kopfschmerzen und allgemeines Unwohlsein sind typische Begleiterscheinungen.

Einige Schulkinder nässen sich ein (Enuresis) oder koten sich ein (Enkopresis). Bei Enuresis und Enkopresis müssen körperliche Ursachen zunächst ausgeschlossen werden. Das gilt auch für andere somatische Symptome. Neben den genannten Schmerzen sind auch Übelkeit und Erbrechen mögliche Komplikationen.

Dyskalkulie steht bei Kindern mit verschiedenen Störungen des Verhaltens im Zusammenhang. Beispielsweise neigen sie häufiger zu oppositionellem Verhalten, Diebstahl, Lügen und Kontaktstörungen. Ängste und Angststörungen sind auch bei Erwachsenen infolge der Rechenschwäche möglich. Die Ängste können sich bei ihnen auch auf die berufliche Situation beziehen.

Eine weitere potenzielle Komplikation von Dyskalkulie sind depressive Störungen. Dazu gehören die Major Depression, die unterschiedliche Schweregrade annehmen kann, und die Dysthymie, die eine längere und mildere Form der Depression darstellt.

Behandlung und Therapie

Je früher eine Dyskalkulie diagnostiziert werden kann, desto größer ist die Aussicht auf eine erfolgreiche Behandlung. Bereits vor Schuleintritt besteht die Möglichkeit einer Präventionsdiagnose, um die Abstraktionsfähigkeit zu überprüfen. Zeigen sich erste Rechenschwächen, besteht die Möglichkeit einer lerntherapeutischen Frühbegleitung. Können die grundlegenden mathematischen Fakten nicht erlernt werden, werden Jugendliche und Erwachsene mit Dyskalkulie im späteren Lebenslauf erhebliche Schwierigkeiten haben, fortgeschrittene Anwendungen mathematischer oder komplexerer Struktur zu meistern.

Aufgrund der relativ jungen Forschung und Diagnoseverfahren sind die Behandlungsansätze für Dyskalkulie relativ überschaubar, setzen jedoch bei einer individuell abgestimmten Lerntherapie an. Diese ist auf die Gesamtpersönlichkeit und den Aufbau eines gesunden Selbstbewusstseins des Patienten ausgerichtet und keinesfalls als Nachhilfeunterricht zu interpretieren.

Zum Abbau der Dyskalkulie müssen ein grundlegendes Verständnis von Mengen und Rechenvorgängen erarbeitet und individuelle Lernstrategien erlernt werden. Dazu ist die Mitwirkung der jeweiligen Lehrer und Eltern erforderlich, um Lernerfolge zu sichern und die Motivation zu halten. Der Betroffene muss sämtliche mathematische Grundlagen Schritt für Schritt nachvollziehen können.

Mathematisch und didaktisch ausgebildete Dyskalkulietherapeuten sind speziell dazu befähigt, individuell differenzierte Therapiepläne zu entwickeln. Durch eine integrierte Verlaufsdiagnostik können die notwendigen Lernschritte angepasst und die durch die Dyskalkulie angefallenen Defizite aufgearbeitet werden.


Vorbeugung

Da die Mathematik einer strengen Logik aufeinander aufbauender Sachverhalte folgt, muss bei ersten Anzeichen von Dyskalkulie präventiv eingegriffen werden. Probleme beim Erlernen mathematischer Fähigkeiten bedeuten nicht notwendigerweise, dass eine Lernbehinderung vorliegt. Je nach Alterstufe deuten bestimmte Faktoren jedoch auf eine Dyskalkulie hin.

Probleme beim Zählen und dem Lösen formaler Aufgaben, Schwierigkeiten im Umgang mit den Grundrechenarten oder dem mathematischen Wortschatz, Unfähigkeit der Umsetzung stretegischer Spiele oder beim Kopfrechnen können signifikante Alarmzeichen sein. Grundlegend können Eltern einer Dyskalkulie durch eine frühzeitige Förderung der simultanen Wahrnehmung entgegenwirken.

Quellen

  • Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Mattle, H., Mumenthaler, M.: Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Siegenthaler, W. (Hrsg.): Siegenthalers Differenzialdiagnose Innere Krankheiten – vom Symptom zur Diagnose. Thieme, Stuttgart 2005
  • Payk, T., Brüne, M.: Checkliste Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Bewermeyer, H.: Neurologische Differenzialdiagnostik, Schattauer Verlag, 2011

Dieser Artikel wurde unter Maßgabe der aktuellen medizinischen Fachliteratur und fundierter wissenschaftlicher Quellen verfasst.
Qualitätssicherung durch: Dr. med. Nonnenmacher
Letzte Aktualisierung am: 15. November 2021

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